Schulchronik Wörpedahl 1938-1940 (Wörpedahl/Mullerdörp)

01. April 1938

Nun bin ich doch noch genötigt, ein neues Heft der Wörpedahler Schulchronik anzufangen. –

Kommt die Schule nach Worpswede:

Wenn der Herr Bürgermeister Bartke in Worpswede seinen Willen bekommen hätte, müßten die hiesigen Schulkinder „spätestens“ nach Beendigung der Osterferien die Schule in Worpswede besuchen. Dagegen erhebt sich jedoch Widerstand, vom Mitglied des Gemeinderates Heinrich Thielking aus Wörpedahl 3 geführt und zum Ausdruck gebracht.

 

Die Eltern der Schulkinder glauben nämlich, daß der neue Schulweg für ihre Kinder zu anstrengend sein wird, besonders für die Kinder der Grundschuljahre, die eben noch nicht alle Radfahren können.

 

Nordwede

Bis heute gehen nur die Kinder aus dem Hause Nr. 13 (Johann Kück) einen fast genau 2 km langen Weg zur Schule. Im Falle einer Umschulung müssen alle Kinder einen mindestens 2,5 km langen Weg zurücklegen. Recht viele haben dann 3 und noch mehr km zu laufen. Und dies bei Wind u. Wetter, auf hiesigen Schulwegen, die zwar in der Theorie bedeutend besser geworden sind, aber bei anhaltendem Regenwetter noch genauso grundlos sind wie früher.

 

Herr Bartke ist natürlich bereit, einzugestehen, daß der neue Schulweg für die Kinder eine Härte bedeuten würde. Jedoch glaubt er, rund 3000 RM Personalkosten einsparen zu müssen, von anderen Gebäudekosten usw. zu schweigen. Alles natürlich nur im Interesser der Gesamtgemeinde Worpswede!

 

Seitdem es eine Großgemeinde Worpswede gibt, müssen 4 einklassige Schulen und eine vierklassige Schule unterhalten werden. Im Hintergrunde wartet auch noch die „private Mittelschule“ in Worpswede, ganz bescheiden natürlich, d. h. vorerst. Sind nun 300 Kinder in der Gemeinde, dann gibt es natürlich auch regierungsseitige Zuschüsse für die 8 Lehrer, die heute tätig sind. Nun fehlen vielleicht 20 Kinder. Infolgedessen muß die Gemeinde einen Lehrer selbst anstellen, rd. 3000 RM.

 

Solche Unkosten müssen natürlich vermieden werden, man kennt diese Melodie natürlich schon von „früher“ her. „Offiziell“ müssen natürlich die vielen Schulden der Gemeinde herhalten womit bewiesen werden soll, daß diese Mehrkosten untragbar sind. Es fällt allerdings nicht schwer, den wahren Grund für die beabsichtigte Zusammenlegung herauszufinden. Herr Bürgermeister B. ist nämlich der Meinung, daß 4 einklassige Schulen für W. unnötig sind, einen „unhaltbaren Zustand“ darstellen. Eine „Zentralschule“ in Worpswede würde weit besser sein, von Neubauten, usw. hat Herr B. schon gesprochen. Dazu ist dann ja die Gemeinde: ließ [?] Herr B. auch bereit, neue Schulden aufzunehmen, genauso wie es ganz in der Ordnung ist, daß die Verwaltungskosten seit der Zusammenlegung um 3000 RM gestiegen ist.

 

Ließ sich in Worpswede ein großes Schulsystem einrichten, so könnte man ja auch in einer nicht so fernen Zukunft d. „private Mittelschule“ umwandeln in eine „gehobene …“. Denn daß sich in Worpswede keine „Mittelschule“ halten kann, wissen die daran interessierten Kreise auch schon seit einigen Jahren. Die eindeutige Erscheinung [können] kann einfach nicht umgangen werden, daß die Bevölkerung des Moores ihre Kinder nicht zur „privaten Mittelschule“ schickt, auch dann nicht schickt, wenn Freistellen angeboten werden. Auf die Dauer sind die Worpsweder auch nicht gewillt, die zu hohen Schulgelder zu zahlen. Man war wohl bereit, sie für einige Zeit zu zahlen, nach der Melodie: „Aller Anfang ist schwer“.

 

Wenn man eine Mittelschule also nicht erhalten kann, so will man wenigstens sich die Annehmlichkeiten der „gehobenen Abteilungen“ verschaffen. Nun läßt sich nicht abstreiten, daß die Mehrzahl der Volksschullehrer gegen die erwähnte schulische Einrichtung ist. Ich auch; denn ich bin auch der Meinung, daß die Lehrziele der Volksschule so sind, daß die Bildungsansprüche der Wweder Bauern– u. Handwerkerkinder damit befriedigt werden können. Meiner Ansicht nach sind in W.wede in erster Linie schulische Einrichtungen nötig, die den Schwachen am Geist etwas entgegenkommen. Wessen Kind nun wirklich etwas mehr leisten kann und soll, für den ist die Mittelschule in Scharmbeck die geeignete Anstalt.

 

Wenn nun Menschen, die mehr von der Sache verstehen als ich, behaupten, daß ich einen zu engen Standpunkt habe, dann will ich mit mir streiten lassen. Dann will ich aber wenigstens eins verlangen: Man muß die nötige Ehrlichkeit an den Tag legen. Einmal muß man nicht nur die zunächst liegenden Gründe vorbringen, die stichhaltig sind oder zu sein scheinen, sondern auch die entfernter liegenden. Das wird aber unterlassen. Man setzt wohl voraus, daß „die Anderen“ nicht so weit denken können.

 

Dann muß man den Leuten auch in irgendeiner Weise das Opfer schmackhaft zu machen versuchen, das sie bringen werden, wenn sie ihre Kinder tagein tagaus den Weg nach Worpswede gehen lassen. Davon läßt sich ein Moorbauer nun nicht überzeugen, daß man auf die Vorteile eines großen Systems hinweist, oder gar „gehobene Abteilungen“ herausstreicht. Denn der Moorbauer hat, das läßt sich ganz eindeutig nachweisen, in seinen Dörfern eine Volksschule, die bei jeder passenden Gelegenheit seitens der Schulaufsichtsbehörde anerkannt wird. In diesen Schulen wird dem Moorbauern eine Bildung vermittelt, die ihn befähigt, seinen ihm vom Schicksal zugewiesenen Platz gut zu behaupten. Und das genügt vollständig, den nun einmal gegebenen Verhältnissen entsprechend.

 

Davon habe ich allerdings nichts gemerkt, daß man die Bewohner der Außendörfer einmal um ihre Meinung befragt, daß man um ihre Zustimmung in irgend einer Form geworben hätte. Herr Bürgermeister B. ging einfach von der angeblich vorhandenen Notlage der Gemeinde aus und glaubte, daß Menschen sich bereit finden würden, eine Zwangslage zu beseitigen dadurch, daß sie ihre Kinder weite Schulwege gehen ließen.

 

Ich persönlich würde auch sehr hart getroffen werden, wenn meine Stelle hier abgebaut werden sollte. Ich hätte einfach wieder wandern können. Und dies angesichts der Tatsache, daß ich hätte eine andere Stelle antreten müssen, nur weil Herr Bürgermeister B. es für nötig sah, in ganz gleichgültiger Weise seine Zustimmung dazu zu geben, daß ein neuer Lehrer nach Wwede kam, wo Herr B. schon den Gedanken hatte, eine Lehrerstelle aufzuheben, einen Lehrer gegebenenfalls also verschwinden zu lassen.

 

In Ostendorf starb 1936 der Lehrer Jark. Sofort fragte man sich, was wird mit der Schulstelle? Die Kinder besuchten zunächst d. Schulen in Bergedorf und dann in Worpswede. Kurz vor Ostern 1937 erfuhr ich zufällig, daß die Schule wieder besetzt werden sollte und zwar mit einem endgültig angestellten Lehrer. Warum diese große Eile und vor allen Dingen die Heimlichkeit dabei? Herr Bartke wußte damals schon, daß er eine Schulstelle, wenn nicht 2 verschwinden lassen wollte. Wenn er nun auf der Hut gewesen wäre, dann hätte er wenigstens einmal bei der Regierung vorstellig werden können mit dem Ersuchen, entweder die Schule Ostendorf unbesetzt zu lassen oder aber sie einstweilig von einem Schulamtsbewerber verwalten zu lassen. Hätte Herr Bartke dann mit seinen beabsichtigten Schulreformplänen Glück gehabt, dann wäre es leicht gewesen, auch d. überzähligen Lehrer los zu werden. Als Bewerber um ein Schulamt muß man es sich eben gefallen lassen, versetzt zu werden. – An diese Möglichkeiten hat Herr Bartke natürlich nicht gedacht. Nun hatte Worpswede einen endgültig angestellten Lehrer mehr angenommen, wo doch schon die Pläne bestanden eine Stelle abzubauen. An diesem Beispiel sieht man, wie Herr B. die menschliche Seite zu berücksichtigen geneigt ist.

 

12. April 1938. Schule bleibt.

Es ließe sich über die beabsichtigte Aufhebung der hiesigen Schule noch einiges mehr schreiben. Doch genug davon. Die Angelegenheit ist zunächst, für einige Jahre wenigstens, geregelt. Die Schule bleibt. Herr Schulrat Fischer hat mit mir und dem Kollegen aus Waakhausen in meiner Wohnung die ganze Angelegenheit noch einmal durchgesprochen. Herr Schulrat sprach sich zum Schlusse dahin aus, daß die Schule solange bestehen bleiben müßte, bis es für die Kinder keine große Härte bedeuten würde, den Schulweg nach einer anderen Schule zurückzulegen.

 

Die finanzielle Seite ist auch geregelt worden. Die Regierung gewährt einen Zuschuß von 2200 RM.

 

15. April 1938. Straßenbau.

Seit einem Jahre wird an der neuen Verbindungsstraße Osterholz – Waakhausen – W.wede gearbeitet. Ein Greiferbagger ist dabei, daß Moor dort heraus zuholen, wo die Straße liegen soll. Täglich rückt der Bagger etwa 60 – 80 m vor. Der Bagger steht auf zwei Pontons, die in dem Kanal schwimmen, den der Bagger sich gräbt. So wird vermieden, daß der Bagger einsinkt, was wohl unbedingt geschehen würde, wenn der Bagger vom Ufer aus arbeiten würde. Es wird in 2 Schichten gearbeitet, von 5 Uhr morgens bis 10 Uhr abends.

 

Im allgemeinen konnte der Bagger ohne Zwischenfälle und ohne viele Mühe oder Anstrengung vorwärts kommen. Die Erde türmte sich zu beiden Seiten des Kanals auf. Ganz bis zum Sandgrund baggert man das Moor nicht aus, obwohl man an den meisten Stellen höchstens einen m tiefer gehen müßte. Die maßgeblichen Leute sind der Meinung, daß der in den Kanal geschüttete Sand den Rest zur Seite drängen wird. Davon bin ich noch nicht überzeugt.

 

In Bauer Nothrots „Busch“ mußte der Bagger sich anstrengen, vorher schon im Eichenwald des Nachbarn Oetjen. Die Stümpfe der vorher abgeschlagenen Bäume saßen dann doch recht tief in dem moorigen Grund, oder sie hatten sich ineinander verwachsen, so daß mitunter 2 Stümpfe auf einmal herausgehoben wurden. Dann schwebte zum großen Staunen d. Kinder eine ganze Wagenladung in der Luft. Wir hatten die Gelegenheit wahrgenommen, dem Arbeiten des Baggers auf seiner schwersten Strecke zuzusehen. Die Kinder sind aus dem Staunen nicht herausgekommen.

 

Nun ist der Bagger beim „Röhrei“ angekommen. Die Pontons sollen nun zur Hamme schwimmen und der Bagger muß wieder über Land wandern. Vorläufig kann er feiern u. sich eines neuen Anstriches erfreuen.Scheinbar ist man sich über die zukünftige Linienführung noch nicht einig.

 

27. April 1938. Storch im Schulhaus

Im Schulhause ist heute der Storch eingekehrt und hat einen 7 Pfund schweren Knaben gebracht. Mutter und Kind sind wohlauf. Sie befinden sich im St. Willehard-Stift des Roten Kreuzes in Bremen. Die Geburt hat 225 RM gekostet.

April 1938. Spielplatz wird verlegt.

Ich bin dabei, den Spielplatz etwas zu verlegen. Bis jetzt lag er sofort neben dem Schulhause. Der Gemüsegarten grenzte daran. Ich empfand es als unbequem, immer über den Platz gehen zu müssen, wenn ich in den Garten gehen wollte. Außerdem war mir das Erdreich zu leicht, es bestand teilweise aus Moor. Früher lag der Garten an anderer Stelle. Die Erde dort war viel besser, hielt die Feuchtigkeit vor allen Dingen besser. Das kam daher, daß man früher den Düngerhaufen schichtweise mit Erdsoden belegte. Im Laufe der Jahre ist dann über dem Moor eine Schicht stark humushaltiger sandiger Gartenerde entstanden. Außerdem glaube ich, bedeutend mehr Himbeern usw. ernten zu können, wenn sie direkt hinter dem Küchenfenster wachsen. Soviel Gartenland wie mein Vorgänger gedenke ich auch nicht zu bearbeiten. Dazu fehlt mir die Zeit. Ein großer Garten erfordert viel Pflege und dazu habe ich weder Neigung noch Zeit. Dann wird das Grundstück selbst auch nicht verschönert, wenn direkt neben der Schule der kahle Spielplatz liegt. Die Zeichnung veranschaulicht die Veränderung.

[Der Platz für die Zeichnung ist freigelassen – die Zeichnung fehlt!]

 

April 1938. Dachreparatur.

Im letzten Jahre ist das Dach des Schulhauses etwas ausgebessert worden. An manchen Stellen war es doch recht undicht geworden. In diesem Jahre zeigten sich einige neue Schäden. Besonders haben die Schieferplatten an der Wetterseite gelitten. Sie sind zu einem erheblichen Teil so mürbe geworden, daß man sie ohne Mühe zwischen Daumen und Zeigefinger zerdrücken kann.

 

1. Mai. Fest der Arbeit.

Auch in diesem Jahre ist in Worpswede das Fest der Arbeit gefeiert worden. Es war von der Parteileitung sorgfältigst vorbereitet worden. Dadurch, daß die Arbeitsdienstleute teilnahmen, wurde der Umzug doppelt so lang als sonst. Besonders feierlich gestaltete sich abends das Abbrennen des Feuers auf dem Weyerberg. Der Feuerschein leuchtete weit ins Moor hinein.

 

Zu wünschen läßt allerdings noch die Teilnahme der eigentlichen bäuerlichen Bevölkerung des Moores. Soweit die Leute Angehörige der Partei und ihrer Gliederungen sind, nehmen sie auch in genügender Zahl teil. Trotzdem läßt sich nicht verschweigen, daß die große Mehrzahl der Moorbauern Worpswede fernbleibt. Sie kommen weder als Zuschauer noch als Teilnehmer am Umzug oder ans Feuer. Ich glaube, daß der Grund ihres Verhaltens darin liegt, daß sie sich eben lächerlich vorkommen, wenn sie dahingehen würden. Dies hört sich natürlich seltsam an, stimmt aber wohl, denn mehrere gute Bekannte haben mir jedenfalls diesen Grund angegeben. Sobald die Leute sich verheiratet haben, hört eben für die meisten Leute die Welt außerhalb ihres Dorfes, ihrer Familie und ihres Arbeitsplatzes auf zu existieren. Dies gilt ohne Zweifel für die älteren Leute, sogar zum großen Teile für die im besten Alter stehenden Moorleute. Man zieht sich dann ganz zurück, kleidet sich nur noch in ernsten oder dunkel gefärbten Kleidern, meidet das Tanzen in öffentlichen Lokalen, Kino, usw. Dies ist leider so, genauso wie es stimmt, daß die meisten erwachsenen Leute nach ihrer Schulentlassung nicht mehr baden, nicht einmal nach der staubigsten Arbeit den Oberkörper abwaschen. Man findet sogar noch hier und dort Bauern, die nicht einmal einen Abort benutzen, sondern sich noch „in den Busch“ setzen. Allerdings verrichten sie ihre Notdurft nicht mehr ganz so ungeniert, wie es noch während meiner Kindheit üblich war. Man setzte sich vormals, noch auf den hohen Misthaufen. Vor einigen Wochen erkundigte sich Herr Dietrichs von der Gemeindeverwaltung nach den Trink- und Wasserverhältnissen. Ich wies ihn an den größten Bauern in Weyermoor. Ich wußte, daß man die größte Erfahrung über Wasserverhältnisse gesammelt haben müßte. Der Bauer hatte sich vor einigen Jahren eine selbsttätige Viehtränke, eine Wasserleitung für die Wohnung und ein Spülklosett anlegen lassen. Ich hatte schon bei verschiedenen Gelegenheiten darüber spotten hören. Herr D. nahm meinen Rat an, ging zu den Leuten und erfuhr – nichts. Sie verschwiegen einiges und stritten den Rest ab! Die Leute genierten sich einfach, zuzugeben, daß sie ihren Nachbarn usw. soweit voraus waren!

 

Mai 1938. Beginn der Ausschachtungsarbeiten am Moordamm.

Seit einigen Tagen sind Arbeitsdienstler dabei, das Moor im Zuge der neuen Straße von Grimm Nordwede bis zum „Dreyer“ auszuschachten. Der Moordamm wird also ausgedient haben. Darüber freuen sich alle Benutzer, denn er war zu Zeiten kaum befahrbar. Die Arbeiten werden mit der Hand ausgeführt. Die Erde wird zu beiden Seiten aufgetürmt und soll noch einmal auf die anliegenden Wiesen geschafft werden. Die Anlieger haben alle ihre Zustimmung dazu geben müssen. Einige ganz Schlaue sind auf den Gedanken gekommen, die Moorstücke zu verkleinern, auseinander zu legen und sie dann weiter zu verarbeiten. So brauchten sie keine Kuhlen zu pachten und ihren Torf zu stechen. Die Gemeinde Worpswede hat von den Bauern Nikolaus Böttjer die große Sandkuhle „Hinter dem Berge“ gekauft. Der Sand soll abgefahren werden und in die abgegrabenen Moordämme geschüttet werden. Von der Sandkuhle führen Geleise nach dem Hause Kück 13 in Nordwede und dann auf dem abgetorften Weg. Mit Loren, die von einer winzigen Lokomotive gezogen werden, wird der Sand dahin gefahren. Die Arbeiten am Moordamm werden wohl im Laufe des Sommers beendet sein. Die Arbeitsdienstleute arbeiten nur bis ½ 2 Uhr nachmittags, dazu ohne Maschinen. Singend ziehen sie morgens zur Arbeitsstätte, singend kehren sie mittags zurück. Wer die Marschkolonne einmal beobachtet hat, so wie sie bei Mackensens Haus den Berg hinan marschiert, der erkennt, daß die jungen Leute tüchtig gedrillt werden und unter strenger Disziplin stehen, denn eine derartige innegehaltene Marschordnung läßt sich nicht in kurzer Zeit erreichen.

 

27. Mai 1938. Reise nach Amerika.

Letzten Herbst trat der Altenteiler Joh. Wellbrock, Waakhausen Nr. eine Reise nach Amerika an. Er war von seinen Kindern eingeladen worden. Heute ist er in bester Gesundheit wieder gekommen, mit einigen vollen Koffern und wartet sicher darauf, seine Erlebnisse zum besten zu geben. Die Familie Wellbrock aus Südwede hat viele Angehörige nach Amerika geschickt. In jungen Jahren ist auch Joh. W. dahin gezogen. Nachdem er einige Jahre dort gearbeitet hatte, ist er wiedergekommen. Ihm erging es wie so vielen andern, die einmal auswanderten, dann vom Heimweh geplagt wurden und zurückkamen. So sitzen in fast jedem Dorf des Moores ein oder zwei Bauern, die einige Jahre „drüben“ waren und dann zurückkehrten. Sie hätten drüben gut abschneiden können, denn sie haben hier in der Heimat gezeigt, daß sie arbeiten konnten und es zu etwas bringen konnten. Sie reden gerne von Amerika, äußern auch wohl mal d. Wunsch, wieder über das „Große Wasser“ zu fahren, um sich dort noch einmal umzuschauen. Unserm J. W. ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen. Sechs Monate lang hat er sich in Amerika umgesehen, vom Norden nach dem Süden gefahren und hat sich gewundert und gestaunt. Überall wurde er von Kindern und Enkelkindern gastfrei aufgenommen. Wer den forschen alten Herrn kennt, weiß, daß er seine Gastgeber durch manche Geschichte aus der Heimat erfreut hat und sie so für die erwiesene Gastfreundschaft entschädigt hat. Wenn er noch einmal eingeladen wird, tritt er die Reise noch einmal an.

 

Im Juni. Dachfenster.

Im letzten Jahre ist das Dach des Schulhauses vom Schieferdecker nachgesehen worden, weil an sehr vielen Stellen das Regenwasser durch die Schiefer seinen Weg fand. (In diesem Jahre) Die meisten schadhaften Stellen wurden auch abgedichtet. Leider waren die Dachfenster noch undicht und blieben auch so. Bei heftigen Regenschauern kam viel Wasser durch. Ich stellte darum alte Töpfe, Konservendosen usw. unter die Fenster. Auch legte ich viel Papier unter die Fenster, damit unter keinen Umständen die Decken der Wohnräume Wasserspuren bekamen. Es mußten also diese undichten Stellen noch einmal von einem Schieferdecker nachgesehen werden. Der kam auch, nachdem er, wie in Worpswede üblich, einige Male gebeten werden mußte. Anstatt nun auf meine Wünsche u. Vorschläge zu hören, einigte er sich mit dem Herr Bürgermeister über die Kosten der Reparaturen und besserte das aus, was er nach seiner Meinung für richtig hielt, nur nicht die Dachfenster. Es wird mir nun nichts übrig bleiben, als die Fenster selber abzudichten. So hat man seinen Ärger mit den Herrn vom ersamen Handwerk.

 

Ähnliche Erfahrungen mußte ich mit einem Tischler machen. Es hat gut anderthalb Jahre gedauert, bis einige Fenster im Schulzimmer ausgebessert wurden. Aber die Rechnungen?

 

27. Juni. Ausflug zur Ausstellung in Bremen.

Am 27. Juni ist in Bremen eine Ausstellung eröffnet worden, die den viel versprechenden Namen trägt: Schlüssel zur Welt. Die Schulkinder drängten sehr, dahin geführt zu werden. Wir suchten uns also einen Tag aus, von dem der Wetterbericht sagte, daß die Pausen zwischen den Regenschauern recht zahlreich u. lang sein sollten. Wir fuhren mit dem Rade nach Lilienthal und mit „Jan Reiners“ weiter. Auf dem Aufmarschplatz neben dem Parkbahnhof waren d. Ausstellungsgebäude aufgebaut. Die Kinder waren von den Ausmaßen der Zelt-Stadt überwältigt. Sie zogen es vor, zuerst das Zelt: „Schiffahrt ist not“ zu besehen. Ihr Interesse an den ausgestellten Schiffsmodellen u. Wandbildern aus dem Gebiet der Schiffahrt war anfänglich sehr rege. Die meisten Kinder sahen hier die ersten Modelle. Bald aber zeigte es sich, daß sie die nötigen Vorkenntnisse nicht besaßen, die Schiffsarten u. die Feinheiten der Einzelmodelle zu erkennen und zu würdigen. Sie ermüdeten rascher als ich dachte. Hinweise und kurze Erklärungen vermochten auch nicht, der Fantasie genug Nahrung zu geben und das Interesse wach zu halten. Sogar die ausgestellten Automobile und Motorräder ließen die Begeisterung nur für kurze Zeit aufleben. Die überall zum Mitnehmen ausgelegten Broschüren und Prospekte erregten kein Interesse. Das Beispiel anderer Kinder, die bald kleine Stöße davon mehr oder weniger heimlich in die Aktentaschen usw. wandern ließen, fand bei meinen Kindern keine Nachahmung. Die Afrikaabteilung erweckte keine Neugierde oder Freude, worüber ich mich allerdings nicht wunderte. Wenn ich selbst wenig Interesse gezeigt hätte, weniger oft stehen geblieben wäre, dann wären wir „eilenden Fußes“ durch die lange Halle gelaufen. Die Frühstückspause wurde begeistert begrüßt. In der warmen Sonne sitzen, gemütlich Brote kauen, ja, das war fein. Und erst die vorübergehenden Besucher betrachten, das war wohl das schönste Vergnügen des Tages. Ich konnte wieder einmal feststellen, wie die Neigung der Moorleute, sich über die Mitmenschen zu amüsieren, auch schon auf die Kinder übergegangen war. Es wurden die Köpfe zusammengesteckt, um die Beobachtungen auszutauschen. Nach einer Stunde waren die Kinder ausgeruht und wollten weiter. Ich ahnte schon, daß bald eine Krise kommen würde, daß einige meiner „großen“ Knaben am liebsten auf eigene Rechnung und Gefahr die Ausstellung besehen würden, obwohl ich ihnen freigestellt hatte, Wünsche zu äußern. Und richtig, nach einigen Augenblicken waren verschiedene „Genossen“ verschwunden. – Ich wartete eine Weile, ging mit dem Rest in einzelne kleinere Hallen, glaubte, daß meine Freunde wohl nachkommen würden, oder daß ich sie gelegentlich auf den freien Plätzen erspähen würde. Doch vergebens: Ich ging also zum Verwaltungszelt und ließ die Namen der Ausreißer durch die Lautsprecher ausrufen, einmal, zweimal. Doch vergebens. Meine Stimmung war natürlich dahin, auch die anderen Kinder konnten den Ausstellungsgegenständen kein Interesser mehr entgegenbringen. Wir waren froh, daß wir bald zum Bahnhof gehen mußten. Und siehe da, dort standen unsere Ausreißer, ganz gemütlich einen Zaun stützend, tief versunken in die liebste Beschäftigung der Moorbauern, vorübergehende Menschen anzustarren, ohne sich zu rühren oder einen Ton zu sagen. Ich hielt meine nachfolgenden Kinder zurück, dies Schauspiel für eine kurze Zeit zu genießen. Das Spaßhafte des Bildes überwältigte mich und ließ meinen aufgespeicherten Ärger u. meine Sorge teilweise verfliegen. „Wo ward ihr?“ „Wir?“ „Wo sind Sie gewesen?“ Ja, so sind die Kinder zu Müllerdorp.

 

Juli 1938. Schulsparkasse.

Seit Jahr und Tag gibt es im Kreise Osterholz einen „Schulsparverein“, von Herrn Schulrat Fischer geleitet. Zweck und Ziele einer solchen Einrichtung zu beschreiben, erübrigt sich wohl. Jedenfalls tun wir Lehrer, was wir können, die Spargroschen der Kinder in die Sparautomaten zu leiten. Diese hängen im Flur oder in den Klassenzimmern einer jeden Schule im Moor. Zuerst floß der Groschenstrom reichlich, um allmählich nachzulassen. Was soll man dazu sagen? Die Sache ist wichtig, die Kinder sehen es ein, fassen sicherlich die nötigen guten Vorsätze, aber die Groschen werden immer seltener, die Begeisterung ist restlos dahin. Es sind nur noch einige Kinder, die unaufgefordert sparen, die Mehrzahl muß mehr oder weniger sanft „gemahnt“ werden. Ich kann die Kinder verstehen. Die Kinder meiner Oberstufe kommen aus Familien, unserer Schulgemeinde, die einfach mit dem Groschen rechnen müssen. In einem Rundschreiben der Sparkasse wurde vor einiger Zeit etwas ungeduldig darauf hingewiesen, daß der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands, hervorgerufen durch die bekannten Maßnahmen Ad. Hitlers doch auch dem Spargedanken neuen Auftrieb geben müsse. Das mag im allgemeinen zutreffen, aber die Tatsache läßt sich nicht verheimlichen, daß die Einnahmen der bäuerlichen Bevölkerung unserer Moordörfer zurückgegangen sind, die Anforderungen aber größer.

 

Am 7. Juli dieses Jahres wurde die Sparkasse zu Lilienthal 75 Jahre alt. Ein Anlaß zum Feiern. Die Gelegenheit sollte auch wahrgenommen werden, den Spartrieb und den Spargedanken zu fördern. Der Direktor der Kreissparkasse rief zunächst einmal die Lehrer des Bezirks zusammen, um mit uns zu überlegen, auf welche Weise die Schüler an dem Jubiläum teilnehmen könnten. Wir einigten uns dahin, daß ein Sternlauf nach Lilienthal von den Kindern gelaufen werden sollte. Ein Arbeitsausschuß übernahm es, die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Die Kinder waren bereit, einige handgreifliche Belohnungen, die da kommen sollten, erweckten die Begeisterung, die nötig war, die z. T. sehr weiten Wege zu laufen oder zu fahren (Heudorf – Lilienthal!)

 

Wir sollten die Strecke laufen von der Nordweder–Semkenfahrts-Brücke bis nach der Südweder Brücke. Je 150 m voneinander entfernt stand ein Schüler und wartete, bis ihm eine Rolle übergeben würde, die er dann weiter tragen würde. Pünktlich erschienen die Stafettender Waakhäuser Schule. Und die Kinder liefen so schnell, daß man Mühe hatte, mit dem Rade zu folgen. Weiterhin klappte alles vorzüglich. An den vereinbarten Punkten trafen sich die Schulen. In Rekordzeit waren wir in Lilienthal. Auf dem Platz hinter der Kirche versammelten wir uns alle. Bald schallten hunderte von Kinderstimmen zu einem Chor vereinigt, nach L. hinein. Herzlichst wurden wir vom Landrat Dr. Ender begrüßt. Vertreter der Lehrerschaft u. der Sparkasse wiesen auf den Zweck und die Bedeutung des Tages hin. Und dann kam für viele der nun müden und hungrigen, durstigen Kinder eine große Hauptsache: Der Marsch nach Murkens Gasthof, wo große Eimer mit Himbeersaft bereitstanden. In einer halben Stunde waren 20 l-Flaschen Himbeersaft (mit Wasser vermischt) ausgetrunken. Nun kam eine unendlich lange Kinovorstellung. Um 1 Uhr war alles vorbei. Den Kindern wurde noch 1 „Hedwig“ gereicht und dann gings nach Hause in die langen Sommerferien hinein.

 

Juli 1938. Ährensammlung.

In diesem Jahre wurden wieder von den Schulkindern Ähren gesammelt. Wir wunderten uns wieder über die vielen Ähren, die doch noch, trotz aller Sorgfalt, beim Nachharken liegen bleiben. Ich ließ an 3 Vormittagen je 2 Stunden sammeln. Täglich brachten wir einen Sack voll zur Schule zurück. Die Ähren wurden zunächst einmal auf den Schulboden gebracht und dort ausgebreitet. Das ist sehr nötig. Bleiben die Ähren auch nur für wenige Stunden in einem Sack, so sind sie derartig miteinander verfilzt, daß es sehr schwer ist, die Körner zu dreschen. Der ganze Segen wurde dann nach Worpswede gebracht, wo der Amtsleiter der NSV ihn dreschen ließ und die Körner verkaufte zugunsten der Winterhilfe.

 

August 1938. Straßenbau.

Jetzt arbeitet der Bagger in Worpswede, auf Bauer G. Behrens Hof. In dem schönen Eichenbestand klafft ein großes Loch. Zur selben Zeit graben Arbeiter von Beckerwerths Hause bis zur Kunstausstellung Seekamp. Dort entsteht so eine Art „Cuhbra cut“. So etwas kann auch nur in Worpswede passieren.

 

September 1938. Reichsparteitag und Kriegsstimmung.

Zum Reichsparteitag ist aus unsern Dörfern niemand gefahren.

 

Die Stimmung ist sehr gedrückt. Ganz allgemein ist man der Meinung, daß ein Krieg unausbleiblich ist. Von einer Begeisterung wie 1914 kann keine Rede sein. Häufig hört man die Leute sagen, daß die Welt wieder ganz gegen uns kämpfen wird. Dann ist ein Sieg zweifelhaft. Wenn auch für den Krieg keine Stimmung vorhanden ist, so hört man auch niemand, der offen oder versteckt gegen den Krieg sich ausspricht. „Panikstimmung“ fehlt auch.

 

Sudetendeutsche in der Jugendherberge.

In der Jugendherberge fanden 60 Flüchtlinge Unterkunft. Es waren Frauen, Kinder und ältere Leute. Sie wussten viel zu erzählen. Ein Junge will erlebt haben, wie beide Eltern vor seinen Augen erschossen wurden.

 

Schule und Vorbereitungen für den Ernstfall.

In Worpswede fand unter Leitung unseres Herrn Schulrates eine Versammlung aller Lehrer des Bezirkes statt. Wir wurden auf den Ernst der Lage aufmerksam gemacht, die auch die Schule in Mitleidenschaft ziehen würde. Dann wurde festgestellt, wer von den Lehrkräften im Ernstfalle zur Fahne gerufen würde, auch, wie ein geregelter Unterricht in den einzelnen Schulen gegeben werden könnte, usw. Die meisten Kollegen werden im Ernstfalle Soldat werden. Ich selbst habe noch keinen Wehrpaß, usw., bekommen. In ernster Stimmung verließen wir alle die Schule! Welcher Gegensatz zu 1914.

 

Oktober 1938

Große Genugtuung herrscht in unsern Dörfern darüber, daß die Kriegsgefahr vorbei ist. Es wird allgemein hervorgehoben, daß unser Reichsführer Ad. Hitler die Lage gerettet hat.

 

Oktober 1938. Maul- und Klauenseuche.

Die Maul- u. Klauenseuche herrscht seit dem Frühling in unseren Dörfern. Wenn sie in einem Ende des Dorfes erloschen schien, brach sie plötzlich am anderen Ende wieder aus. Es war ein Rätselraten, wer nun an die Reihe kommen würde. Einige Bauern haben Tiere eingebüßt. Sie sind einigermaßen durch eine Geldentschädigung zufrieden gestellt worden. Alle haben jedoch unter den Folgen der Krankheit zu leiden. Die Kühe geben während der Erkrankung wenig Milch und es dauert lange, bis sie wieder die übliche Literzahl geben. Es ist den Bauern auch während des Sommers nicht gestattet worden, ihre Tiere dem Stier zuzuführen. Das bedeutet wenig Milch und keine Kälber im kommenden Jahr. Auch weiß kein Bauer, ob seine Tiere noch den ehemaligen Gesundheitszustand behalten haben, noch so widerstandsfähig sind wie vor der Erkrankung. Das bedeutet immer eine heimliche Sorge für den Tierhalter, denn es gibt keine Entschädigung für Tiere, die an den „Folgen“ der Seuche sterben. Wieviel Schaden die Seuche angerichtet hat, läßt sich erst nach einigen Jahren feststellen. Es sind natürlich auch Maßnahmen getroffen worden, die verhüten sollen, daß die Krankheit sich ausbreitet. Die Bauern halten wenig von den einzelnen Vorschriften, sagen offen, daß die meisten, am „grünen Tisch“ ausgedacht wurden, daß manche geradezu falsch sind. Die meisten Bauern sagen, daß man diesmal so schnell wie möglich für eine Durchseuchung sorgen müsse, denn kein Stall bliebe verschont. Also würde man die Sorge los und die Sperrmaßregeln hörten schneller auf. Zusammenfassend läßt sich sagen: Die Bauern erleiden großen Schaden dadurch, daß,

  1. die Milchleistungen für mindestens ein Jahr gering sind,
  2. die Tiere im allgemeinen geschwächt werden,
  3. eine Generation ausbleiben kann,
  4. viele Arbeit und Sorge entstanden,
  5. manche Tiere verenden.

Der Schulbesuch hat unter der Krankheit nicht gelitten. Im Frühjahr erkrankten die Tiere auf der Weide, und die Kinder durften laut Entscheid des Herrn Landrates die Schule besuchen. Jetzt scheint sich niemand mehr um die Vorschriften zu kümmern, denn angesteckt wird doch jeder Bestand.

 

Sept. Oktober. Luftschutzschnellkurse.

Wegen der im September drohenden Kriegsgefahr erschien es wichtig, daß alle Volksgenossen, die bisher noch nicht an einem Kursus des Reichs-Luftschutz-Bundes teilgenommen hatten, so schnell wie möglich einige grundlegende Kenntnisse erwarben. Darum richteten die örtlichen Leiter des R-L-B. (in ganz Deutschland) „Schnellkurse“ ein, von 6 Stunden Dauer. Die Kriegsgefahr verschwand glücklicherweise ebenso schnell wieder, wie sie gekommen war. Ich nahm nun an, daß man sich mit der in Schnellkursen erworbenen Ausbildung nicht zufrieden geben würde. Es war auch nicht möglich gewesen, die Teilnehmer so schnell zusammenzuholen, wie es wohl nötig gewesen wäre. Es gab keine Listen der Personen, die ausgebildet werden mußten, es fehlten die amtlich vorgeschriebenen Vordrucke usw. Einen einfachen Laufzettel durch’s Dorf zu schicken, ging natürlich nicht an. Es könnte jemandem ja einfallen, zu fehlen. Wie sollte man den dann belangen? Da man von Amtes wegen die Sache doch nicht so wichtig ansah, ließ ich zunächst einmal die Ferien verstreichen, ohne die Kurse zu beginnen. Ich hatte ganz richtig gerechnet; denn es kam nun die Anweisung, wieder die gründliche Ausbildungsweise zu beginnen. Die in den Schnellkursen erlangte Ausbildung wurde auch nicht ganz anerkannt. Die „schnell“ ausgebildeten Leute hatten immer noch 14 Stunden vor sich. (Mein Nachbarkollege hat ebenso gedacht u. gehandelt!)

 

Oktober 38. „Schulfrage“

Herr Bürgermeister B. hat neuerdings wieder einen Anlauf unternommen, die „Schulfrage“ in Worpswede zu lösen. Es scheint, daß er mit Vertretern der Regierung die Sache vorher besprochen hat, sich eine Rückendeckung verschafft, bzw. gedrängt worden ist. Genaueres ist darüber natürlich nicht zu erfahren.

 

Diesmal war Herr Bartke großzügig. Die Schulen in Bergedorf, Ostendorf und Wörpedahl sollten aufgelöst werden. Nur Südwede sollte bleiben. Es scheint, daß die Vertreter der Gemeinden wenig Einwendungen gemacht haben. Eine Ausnahme machte der Vertreter von Wörpedahl, der wiederum energisch betonte, daß man den Kindern den Schulweg nach Worpswede nicht zumuten dürfe. Er erreichte auch, daß man versicherte, die Schule in Wörpedahl solange zu lassen, bis die neue Straße fertiggestellt sei. – In den anderen beiden Gemeinden herrscht jedoch große Empörung. Die Bergedorfer sind nicht damit einverstanden, daß man wenigstens die Unterstufe dort belassen will.

November 38. Die Wege.

Die Zuwegung nach der Schule wird immer schlechter. Schlecht war sie schon immer, aber nun ist das Maß aber doch bald voll. Wenn die Schule Ostern hier noch bleibt, dann werde ich „Druck“ hinter die Sache setzen. Ich bin fest davon überzeugt, daß ich Erfolg haben werde. Ende Oktober begann der R.-A-D. damit, den „Damm“ vor Wörpedahl auszuschachten. Man sprach schon im vorigen Herbst davon, daß „bald“ angefangen werden sollte. Nun hat man vereinbart, daß der Unternehmer der neuen Straße auch den neuen Ortsweg besandigen sollte. Darum blieb es bis jetzt bei Plänen. In einer Woche jedoch wird der alte Weg gesperrt sein, die 7 Anlieger müssen dann zwangsläufig Nachbar Ebbers Weg befahren müssen. Dies weiß man natürlich seit einem Jahr. Man denkt aber nicht daran, schon beizeiten einige Fuder Sand anzufahren. Juli 38 habe ich Herrn B. Bernits bereitsdarauf aufmerksam gemacht, daß beizeiten Anstalt gemacht werden müßte, um nicht im letzten Augenblick einen vollständig unbefahrbaren Weg vor sich zu haben. Nun ist die Bescherung soweit. Seit 8 Tagen regnet es, die Oberfläche des Weges ist vollständig aufgeweicht und Wagen wie Schulkinder bewegen sich im Matsch. Der Tierarzt flucht, der Arzt auch und der Pastor doch sicher auch. Es nützt ihnen aber nichts, sie sitzen für einige Stunden fest. Meine Schwiegermutter muß gelegentlich der Taufe meines jüngsten Sohnes 4 Tage bei uns bleiben, bis sie vom Sohn per Auto abgeholt werden kann.

 

Dezember 1938. Winterwetter.

Weihnachten über herrschte richtiges Winterwetter. Der Schnee lag gut 5 cm hoch. Die Kälte war ganz ungewöhnlich. Das Thermometer vor der Haustür zeigte mitunter -18 0. Im Wohnzimmer maßen wir nie mehr als +16 0. Im Schulzimmer waren wir mit 14 0 zufrieden.

 

Sportgeräte.

Im Herbst d. J. ist der Gemeinde Worpswede 500 RM seitens der Regierung überwiesen worden. Die einklassigen Schulen bekamen je 75 RM. Dafür habe ich gekauft: 2 Sprungständer, je ein Fußball und Handball, 4 Wurfkeulen, einige Schlaghölzer, 1 Leine für Faustball, 6 Laufseile, 2 Schleuderbälle. Die Kinder freuten sich ganz ungemein über die neuen Sachen. In der Klasse ist für die neuen Sachen kein Platz. Darum habe ich alle Hilfsmittel für d. Unterricht in Leibesübungen in meiner Waschküche untergebracht.

 

Januar 1939. 15. -

In ganz Deutschland wird eifrigst für die SA geworben. In jedem Dorfe hängen Plakate mit der Aufforderung: werdet SA-Mann! Überall finden Veranstaltungen statt unter dem Motto: Tretet ein in Hitlers SA! Alle Parteigenossen, die körperlich kräftig genug sind, den Dienst mitzumachen, bekommen Aufforderungen, von den örtlichen Partei– u. SA-Leitungen ausgesandt, in die SA einzutreten. So entschloß ich mich auch, der Aufforderung zu folgen. Ich schwankte zwischen den Möglichkeiten SA-Mann oder Lehrer im Luftschutz zu werden. Beides würde wohl zuviel Zeit in Anspruch nehmen.

 

Januar 39. Feier des 30. Januar

Der Tag der Übernahme der Macht wurde in der Schule durch eine kleine Feier aus dem Rahmen des Alltags herausgehoben. Eingeleitet wurde die Stunde durch bekannte Kampflieder der Bewegung. Einige Gedichte folgten. Dann erzählte ich von den großen Ereignissen in der Reichshauptstadt. Abgeschlossen wurde die Feier durch das Deutschland- + das Horst-Wessellied. Dann spielten die Kinder noch eine Stunde auf dem Schulplatz. Es ist nur bedauerlich, daß uns ein Radioapparat fehlt. Dann hätten wir die Berliner Feier miterleben können.

 

Abends sammelten sich alle Volksgenossen um das Radio, um die Rede des Führers vor dem 1. Reichstag Großdeutschlands mitzuhören. Sie dauerte 2 ½ Stunden. Alle Hörer haben sich über das verheißungsvolle Wort gefreut: Ich glaube an einen langen Frieden!

 

Februar 39. Zellenabend, in Worpheim.

Der Ortsgruppenleiter F. Stolte hielt am 3. Februar in der Lütjenischen Gastwirtschaft zum ersten Mal einen „Zellenabend“ ab. Es waren alle politischen Leiter u. Amtswalter der angeschlossenen Verbände eingeladen und auch erschienen. Amtsleiter der NSV. Pg. Lehrer Petersen aus Worpswede gab eine Übersicht über die Tätigkeit und Leistungen der N.S.V u. der Winterhilfe seit der Machtübernahme ab. Es gab Stoff zum Nachdenken, daß in dem ersten Jahre der Winterhilfe 1/3 aller Einwohner der Großgemeinde unterstützt worden sind. Frau Ohler erzählte von dem Tun der Worpsweder Frauenschaft. Sie forderte auf, fleißig Mitglieder zu werben. Sobald 30 Volksgenossinnen eintreten, könnte Zelle 4 eine selbständige Ortsgruppe bilden. Das hätte dann den praktischen Erfolg, daß niemand mehr den weiten Weg zu den Tagungen in Worpswede zu gehen hätte. Abschließend sprach Schulungsleiter Pg. Steinhörster über das Wesen und über die Bedeutung der Schulungen, wie sie von der Partei eingerichtet worden seien. Es störte mich etwas, daß man in der „Gaststube“ die Versammlung abhielt. Im Moor sind solche Räumlichkeiten doch zu nüchtern und entsprechen nicht dem Charakter einer solchen Versammlung, die immer auch eine Feier zu sein hat.

 

Auf dem Nachhauseweg der Teilnehmer ereignete sich wiederum das übliche „Malheuer“ des Moores. Der ehemalige Bürgermeister der Gemeinde Worpheim fiel von der Brücke vor dem Südweder Damm in den „Schiffgraben“, obwohl er den Worpswedern gerade vor solchen Extravergnügen gewarnt hatte.

 

Februar 1939. Dorfgemeinschaftsabend.

Die Wümme-Zeitung schreibt:

Worpheim: Dorfgemeinschaftsabend. Wie sehr gerade hier im Moor die Dorfgemeinschaft gepflegt wird, zeigte wieder einmal der am letzten Sonnabend bei M. Lütjen veranstaltete Dorfgemeinschaftsabend der beiden Ortteile Südwede – Wörpedahl, der zum größten Teil von der Dorfjugend veranstaltet wurde. Nachdem der Ortsbauernführer (H. Dreyer, Südwede) seiner Freude darüber Ausdruck gegeben hatte, daß zu diesem Abend sowohl die Vertreter der Partei als auch die der Behörden erschienen waren, begrüßte er in seiner humorvollen Art die Gäste, die so zahlreich der Einladung gefolgt waren (stimmt). Er ermahnte die Dorfjugend, ja altes, gutes von den Vätern übernommenes Brauchtum wie bisher – es herrscht nämlich in diesen Ortsteilen noch die schöne Sitte des Spinnstubengehens – weiterzupflegen und zu erhalten. Daß von einem Jungbauern gesprochene Gedicht: „Ich bin ein Bauer“ zeigte genau wie das von der Jugendwartin vorgetragene „Ahnenehrung“, daß sich auch in Südwede – Wörpedahl die Jugend aus tiefstem Herzen zu Blut und Boden bekennt. Ortsgruppenleiter Nolte brachte das Sieg-Heil auf den Führer aus. Nachdem nun noch der Regierungsrat Kotzweg, dessen Vorfahren selber vom Lande kamen, in kurzen Worten die harte und verantwortungsvolle Arbeit der Bauern würdigte und hierbei erwähnte, daß die nationalsozialistische Bewegung endlich Städter und Landvolk wieder einander näher gebracht habe, wickelte sich das Programm des Abends in bunter Folge ab. Volkstänze und alte Bauerntänze, bei flotter Musik getanzt, dazwischen gemeinsam gesungene Lieder, [brachte] bald alle Besucher in die richtige Feierstimmung. Ein von der Jugend des Dorfes gespieltes Theaterstück, erntete reichen Beifall. Den Höhepunkt erreichte jedoch die allgemeine Stimmung, als die Alten aus den beiden Ortsteilen den Jungen noch mal so einen richtigen Bunten von früher vortanzten. Soweit die Zeitung: Sie verschweigt folgendes. Die Gäste stammten mit 3 Ausnahmen aus den Ortsteilen Südwede (Worpheim). Besucher aus Wörpedahl, Weyermoor, Nordwede fehlten, so muß man ja sagen, vollständig. Das gute Beispiel gab natürlich der Ortsbauernführer von Wörpedahl. Wie kommt das? Darüber schweigt des Sängers Höflichkeit. Den Bauern von Wörpedahl, usw. fehlt nämlich jeder Sinn für – Dorfgemeinschaft. –

 

März 1939. Kreislehrerkonferenz.

Am Sonnabend d. 18. März fand in St. Magnus eine Tagung sämtlicher Lehrkräfte des Kreises Osterholz statt. Die Rede des Dr. Peinefand sehr aufmerksame Zuhörer. Er legte klar, warum die jungen Menschen es vermeiden, Lehrer zu werden. Die Zeit brächte es mit sich, daß man vielfach nur von Äußerlichkeiten sich beeinflussen ließe, aber den inneren Wert des Lehrerseins verkenne. Die Frage wurde von verschiedenen Seiten aufgeworfen, ob der Lehrer durch die Tätigkeit in d. Partei und ihren Gliederungen usw., nicht zu sehr beansprucht würde, sodaß die Schule darunter zu leiden habe. Ich wunderte mich, wie sehr die Meinungen hierüber geteilt waren. Verschiedene Kollegen verdammten geradezu die „vielen Posten“, andere dagegen erklärten, daß die neue Nebenarbeit eine Kraftquelle ersten Ranges sei. Das kann ja alles stimmen; man wird aber von den Verfechtern wie von den Ablehnern Einzelangaben verlangen müssen. Wenn ein Ortsgruppenleiter, der dazu noch Kreisleiter im N.S.L.B. ist erklärt, ihm sei seine nebenamtliche Tätigkeit eine Kraftquelle, so muß er unbedingt sagen, welche Fächer er gibt, wieviel Stunden, unter welchen Schulverhältnissen. Dann erst kann man ihn verstehen usw. Aber solche Angaben fehlen vollständig, infolgedessen wird nur „geredet“. usw.

 

März 1939. Abschiedsfeier für den R.A.D. in Wörpedahl.

Ob man in Wörpedahl auch „Gemeinschaftsabende“ feiern könne? Der Beweis wurde gegen Ende des Monats gebracht. Der Arbeitsdienst hat den Winter über den Wörpedahler Damm ausgekoffert. Man ist sich ganz einig darüber, daß die jungen Leute keine Arbeitsrekorde aufgestellt oder gar gebrochen haben. Ohne zu übertreiben, oder gar gehässig sein zu wollen, muß man sagen, daß d. Arbeitsmänner sich drückten, wo sie nur konnten. Meine Kinder kamen mitunter mit den unglaublichsten Einzelheiten in die Schule. An einem Arbeitstage sollen z. B. 24 Arbeitsmänner ganze 4 Loren Moorerde verfahren haben. Die Dorfleute haben dann auch genug über d. Sache gelacht oder geschimpft, je nach Temperament. Zumeist war man der Ansicht, „daß man für 25 Pfg. täglichen Lohn nicht mehr verlangen kann.“ Ich selbst habe mich anfangs auch sehr gewundert, später aber bedacht, daß die Hauptarbeit für die Arbeitsmänner ja erst nachmittags anfängt, der Drill. Einige Dorfleute haben auch ihrer Meinung gehörigen Ausdruck gegeben. Geholfen hat es aber nicht.

 

Der Ortsbauernführer Monsees und sein „Mitarbeiter“, Pg. H. Thielking sind trotzdem der Meinung gewesen, man müsse den Arbeitsmännern für ihre Arbeit eine Anerkennung bereiten, am besten in der Form eines Abschiedsfestes, das mit den Dorfbewohnern gemeinsam gefeiert werden sollte. Auf einer Versammlung sollte alles besprochen werden. Zu dieser Versammlung konnte ich leider nicht gehen. Was beschlossen wurde, weiß ich bis heute noch nicht, heute erzählt jeder etwas Anderes. Zunächst erfuhr ich nur, daß man überhaupt feiern wollte. Als ich endlich mich bei den Kindern erkundigte, erfuhr ich von E. Thielking: „Das Fest ist vorgestern gewesen.“ Einzelheiten wurden nicht gebracht. In einer Pause kam Erna Th. zu mir und erzählte Einzelheiten. Gefeiert worden sei ausgiebig. Zu guter Letzt hätte J. E. mit einigen Arbeitsmännern Streit angefangen, d. Messer gezogen u. einen Arb.-mann über der Stirn eine große Wunde beigebracht. Wahr sein konnte d. Erzählung schon, denn J. E. hatte schon früher zum Messer gegriffen. Ich wurde natürlich neugierig.

 

Am folgenden Tag war Dorfgenosse J. E. wirklich mit dem Arm in einer Schlinge umherlaufend zu sehen. Natürlich war er mit der Hand in den „Düngerstreuer“ gekommen. Merkwürdigerweise ließen sich die Nachbarn usw. nicht aus über Einzelheiten des Festes. Allgemein stöhnte man über die Unkosten u. schloß daran die Versicherung: Einmal u. nicht wieder! Jede Familie hatte 10 RM bar gestiftet, außerdem noch 10 Eier, Speck und Kartoffeln. Wenn man weiß, wieviel zu den Sammlungen des W.H.W. gegeben wird, wundert man sich ungemein. Von soviel Lebensmitteln konnte man schon 100 Arbeitsmänner satt machen! Die Dorfleute hatte man auch geladen, sie waren recht zahlreich gekommen. Die meisten sind enttäuscht wieder nach Hause gekommen. Sie sind nicht „auf ihre Kosten gekommen“, da die Feier leider nicht richtig organisiert war. Die Feier begann auch sehr harmonisch. Die üblichen Reden wurden gehalten, schließlich kam die Hauptsache: das Essen. Jeder Arbeitsmann bekam 2 gekochte Eier und reichlich Kartoffelsalat. Dann wurde getanzt. Die Dorffrauen begannen nun den Butterkuchen in Streifen zu schneiden. Die Arbeitsmänner sahen gerne zu und bekamen den Kuchen zugesteckt, der eigentlich den Dorfleuten zugedacht war. Darob gab es von verschiedenen Bauern spitze Bemerkungen. Wer sich nun schnell an die Kaffeetische setzte und tüchtig zulangte, kam auf seine Kosten. Es gab sogar guten „Bohnenkaffee“ in jeder Menge. Wer den „gestiftet“ oder geliefert hat, habe ich nicht ausfindig machen können. Unten auf der Diele war inzwischen ein „Faß“ angesteckt worden. Wer lieber Schnaps nahm, wurde auch zufriedengestellt. Die Stimmung hob sich wunderbar schnell, so schnell, daß um 11,30 Uhr der Lagerführer antreten ließ und seine Leute nach dem Lager marschieren ließ. Nur drei blieben zurück, ein Aufwaschkommando. Die meisten Dorfleute gingen auch bald nach Hause. Es blieben nur einige Unentwegte, d. h. junge Leute und die geladenen Ehrengäste, Bauernführer, Bürgermeister von Worpswede und sonstige im „öffentlichen Leben“ stehende Persönlichkeiten. Diese zechten nun lustig weiter mit den jungen Burschen. Diese, besonders ein J. E. ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen, die Honoratioren anzupöbeln, wofür sie überhaupt bekannt waren. Bald gab es ernsten Wortwechsel; einmal und auch zweimal wurden sie hinausgeworfen, um immer wieder zu kommen. Schließlich wurde es dem Ortgruppenleiter zu bunt, er rief die Arbeitsmänner und ließ die Krakehler hinauswerfen. Das geschah dann auch prompt und mit großem Effekt, bald stöhnte ein Bursche draußen im Garten unter den Tritten der Hamburger, er war mit dem Hals gegen eine Wäscheleine gelaufen und zu Boden gefallen. Ein anderer Bursche u. sein Bruder war zurückgeblieben, so der eine wurde sofort in einen Abzugsgraben geworfen. Der Bruder wurde energisch verfolgt und an dem „Schulweg“ wieder eingeholt. Dort standen wie gewöhnlich einige Milchkannen, der J. E., als er sich eingeholt sah, nahm einen eisernen Deckel und schlug dem ankommenden Arbeitsmann ins Gesicht. Dieser muß nun sehr kräftig und rauflustig gewesen sein, er ließ sich gar nicht beirren, langte sich den zwar erheblich kleineren, aber immerhin sehnigen und auch kräftigen J. E. und warf ihn kopfüber in den Graben. Der Arbeitsmann selbst war aber doch so verletzt, daß er erst am andern Tage ins Lager zurückkehrte. Die ganze Angelegenheit ist mit dem Mantel der Liebe zugedeckt worden.

 

Ich habe diese Angelegenheit aus manchen Gründen ausführlich beschrieben, sie ist so richtig für „Müllerdorf“ bezeichnend. Nach dem Bauernabend in Worpheim konnte man nicht gehen, aber irgendetwas mußte man doch beginnen, denn man ist doch ein tüchtiger Kerl, usw. Leider langt es aus irgendwelchen Gründen nicht für die nötige Organisation und man hat schließlich doch nur den Leuten „etwas in den Hals gegeben.“ Wer nun wohl die restlichen Schulden bezahlt?

 

19. März 39. Schulentlassungsfeier.

Am Sonntag den 19. März fand im Schröderschen Saale in Worpswede die erste Schulentlassungsfeier statt. Es wurden entlassen die Kinder aus den Schulen der Ortsgruppe Worpswede. Die Feier wurde genau nach den Vorschlägen durchgeführt, die eine Denkschrift der Reichsverwaltung des NS-Lehrerbundes brachte: „Die Schulentlassungsfeier.“ Die Teilnehmer gingen sehr befriedigt nach Hause zurück. Lob gebührt den Lehrern und Kindern der Worpsweder Schule, die sehr fleißig vorgearbeitet hatten, sodaß die vielen Lieder, Chöre und Sprüche mühelos vorgetragen wurden. Es ist nur schade, daß die Elternschaft fast garnicht interessiert war, sodaß nur wenige Eltern gekommen waren.

 

April 1939. Wegebau nach dem Bahnhof Weyermoor und durch Weyermoor.

Es ist beschlossen worden, den Weg nach dem Bahnhof Weyermoor durch Gemeinschaftsarbeit auszukoffern, mit Sand aufzuschütten und dann zu pflastern. (Wer so etwas beschließt und wann und wo, ist heute nicht) nie festzustellen. Wenn man einen Dorfbewohner fragt, dann wird auf „den“ hingewiesen, begleitet von einer Bewegung des Daumens. „Den“ sind die Ortsbauernführer und ein Mitglied des Gemeinderates. Wenn man nun diese Leute fragt, so wird ausweichend geantwortet. Man merkt die Absicht, daß der betreffende Herr nichts sagen will und schweigt.

 

Leider regnete es in Ströhmen, als man an die Arbeit ging. Die Bauern aus den Nachbardörfern kamen sehr zahlreich. Alle schimpften über den Sumpf den man „Schulweg“ nennt. Nach einigen Stunden kehrten einige Entmutigte oder Verärgerte wieder um. Die meisten blieben bei der Arbeit, obwohl sie sicherlich vollkommen durchnässt waren. Abends hatte man die 300 m lange Strecke auch ausgekoffert, eine sehr lobenswerte Leistung.

 

Der Verbindungsweg nach dem Bahnhof, ist sehr nötig. Die Bauern aus den „Vereinigten Staaten“ brauchen nun nicht mehr nach Worpswede fahren, denn in Weyermoor soll ein „Güterbahnhof“ eingerichtet werden. Der bisherige Weg war nur für den leichten Verkehr des Eigentümers Gerken (Lindemann) eingerichtet. Bisher wäre es kaum möglich gewesen, im Wege der Gemeinschaftsarbeit dem Weg eine tragfähige Sanddecke zu geben. Das ist nun geschafft.

 

Gemeindeweg in Weyermoor.

Da man nun einmal dabei ist, Wege anzulegen, soll Weyermoor auch eine Verbindung von Haus zu Haus bekommen. Dann brauchten die Dorfleute nicht mehr die Milch an den „neuen Weg“ zu fahren. Dadurch sparen die meisten einen Weg von 1,6 km morgens, um die vollen Kannen an den Weg zu bringen und den gleichen Weg nachmittags, um die leeren Kannen bzw. Kannen mit Magermilch zurückzuholen. Nun, über die Wegersparnis sind sich alle einig, nur nicht über den Verlauf des neuen Weges. Sündenbock ist diesmal „Heini“ Clausen. Ich kann sehr wohl verstehen, daß er sich weigert, das von ihm verlangte Land herzugeben, weil ich sein Verhältnis zu seinen Nachbarn und Dorfgenossen kenne und auch weiß, wie es entstanden ist. Rein menschlich gedacht ist es mir durchaus erklärlich, daß er nun die Gelegenheit sieht, den „anderen“ auch mal eins auszuwischen. Clausen will, daß der Gemeindeweg direkt vor seinem Hause laufen soll. Dann allerdings kommt er den anderen Dorfleuten hinters Haus, sie müssen dann Ackerstücke hergeben, bzw. Ackerstücke zerschneiden lassen, davor scheuen sie zurück. Die Mehrheit will, daß der Weg ungefähr so läuft, wie jetzt der Dorfweg. Dann werden die meisten nur das Land hergeben müssen, daß jetzt nur mit einigen Bäumen bestanden ist ebenso brach liegt. Diese Linienführung ist zweifellos richtig; aber „Heini“ ist anderer Ansicht. Seit einigen Wochen streitet man sich so hin und her, böse Worte sind schon viele gefallen, Heini gibt aber nicht nach. Nun hat er „großen“ Besuch bekommen. Der Ortsgruppenleiter, Kreis- und Ortsbauernführer, Bürgermeister, usw., waren bei ihm und haben ihm den „Standpunkt“ klar gemacht. So schlimm wird es wohl nicht geworden sein, aber Heini hat seinen Willen nicht bekommen, wie anzunehmen war. – Vor Jahren, genauer als die Bahn gebaut wurde (1911) wollte man schon einen Gemeindeweg bauen. Er sollte am Bahnhof beginnen, neben der Bahn herlaufen und in den Weg münden, der von der Hamme nach der Mühle führt. Eingestandenermaßen würde dann Bauer Böttjer (Weyermoor) den größten Vorteil von dem Weg haben, denn er besitzt Ländereien am Worpsweder Bahnhof, die er von Weyermoor aus bewirtschaftet. Es wäre nun doch zu [schön]. Die anderen Dorfbewohner lieferten damals noch keine Milch, es war also noch nicht so unbedingt wichtig für jeden Bauern, einen Weg vor dem Hause zu haben, auf dem der Milchwagen täglich seine Runden fährt. Es war damals also zuviel verlangt, daß Böttjer eine so bequeme Zufahrt zu seinen Ländereien erhält. Die Leute, die nun etwas ehrlich sind, geben zu, daß man damals aus „dorfpolitischen“ Gründen die Gelegenheit versäumte, einen Weg zu bekommen. Den damals „amtlich“ angegebenen „Gründen“ kann man nicht trauen, sie hören sich höchstens gut an. Die Leute sind aber für die Kurzsichtigkeit ihrer Eltern genug bestraft.

 

Mai 1939. Volks- Berufs- und Betriebszählung.

Der diesjährige „Nationalfeiertag der Arbeit“ ist leider verregnet. -

 

In diesem Jahr wurde die große Volkszählung endlich durchgeführt, nachdem sie ein Jahr verschoben worden war, aus politischen Gründen. (Sudetenland) Pg. Bürgermeister Bartke hatte nun seine eigenen Ansichten darüber, wie hier in Worpswede so eine Zählung von statten gehen müßte. Vorgesehen war, (amtlich) daß die Zähler die Listen in die Häuser ihres Bezirks zu bringen hätten. Am folgenden Tage sollten die ausgefüllten Listen wieder eingeholt werden, usw. Pg. B. hat nun eine sehr geringe Meinung von der Fähigkeit bzw. guten Willen der Dorfleute, die Listen in der gewünschten u. nötigen Weise auszufüllen. Er hätte schon seine Erfahrungen mit Zählungen gemacht, setzte er den Zählern auseinander, die an einem Abend von ihm zur „Schulung“ in die Gastwirtschaft H. Haar, Worpswede gerufen worden waren. Gebe man den Leuten die Listen ins Haus, dann würden sie erfahrungsgemäß so unzureichend von den Leuten ausgefüllt, daß den Zählern bzw. den Angestellten des Gemeindebüros doch noch die Hauptarbeit bliebe. Nun sei diese Zählung ganz ungemein wichtig, daß also unter allen Umständen vollständig ausgefüllte Listen verlangt werden müßten. Darum wolle er (der Bürgermeister) einen ganz anderen Weg gehen, als amtlich vorgesehen. Zunächst hätte er nur solche Zähler angefordert, die unter allen Umständen der Sache gewachsen seien. Im Raum war dann auch die Blüte der Worpsweder Intelligenz versammelt, eine wahre Elite. Zumeist Künstler, Professoren, Doktoren usw. Dazu noch einige Schulmeister und drei bis vier Bauern. Diese Zähler wollte er auf einige Zähllokale der Großgemeinde verteilen. Die Einwohner sollten dann in die Lokale kommen, den Zählern ihre Angaben machen. So könnte doch wohl erwartet werden, daß nur tadelfreie Listen abgegeben würden. Die Anwesenden amüsierten sich reichlich ob der Ehre, ihre Intelligenz vom Bürgermeister anerkannt zu wissen.

 

Am festgesetzten Tage erschienen dann auch die vielen Listen, die Leute und etwas verspätet auch die „Zähler“. Nachdem man einige Listen ausgefüllt hatte, hatte man den Bogen raus. Neu waren die Fragen nach der rassischen Zugehörigkeit. Es war jedem freigestellt, die Angaben für sich zu machen und dann den ausgefüllten Bogen in einen Umschlag zu stecken und zu verschließen. Schwierigkeiten ergaben sich erst bei den Angaben über die Größe des landwirtschaftlichen Betriebes. Ich muß gestehen, daß kein Bauer, dessen Angaben ich aufschrieb, genau wusste, wieviel von seinen Ländereien mit den verschiedenen Früchten bestellt waren, wie viel auf Hofraum, Wege, Brache kamen. Man sollte doch meinen, daß es für jeden Bauern Ehrensache sein müßte, über die Aufteilung seines Hofes genauestens Bescheid zu wissen. Es würde doch genügen, wenn man ein für alle Male einen klaren Plan aufstellte, dann brauchte man doch nur jedes Jahr etwas zu verändern, um stets in der Lage zu sein, genaue und ausreichende Angaben hersagen zu können. Aber wer hat einen derartigen Überblick? Einige Bauern schon, aber dann besteht er nur aus einem fetzenartigen Stück Papier, das lediglich mit Zahlen ohne Sachangaben bedruckt ist, sodaß der Besitzer mühsam den Sinn herausraten muß. Es wäre eine Aufgabe für landwirtschaftliche Berufsschulen, hier einmal Abhilfe zu schaffen. Jeder Schüler müßte einen Plan seines väterlichen Hofes zeichnen, der die Lage der einzelnen Ackerteile aufzeigt. Dann müßte man eine tabellenartige Übersicht aufstellen, die von Jahr zu Jahr die Veränderungen sofort erkennen läßt.

 

Die Angaben, die von manchen Bauern gegeben wurden, waren geradezu lächerlich. Geraten wurde bei jedem Einzelnen. Die Zähler, die von vornherein nicht über gewisse Erfahrungen verfügten, hatten auch sehr viel Zeit nötig, um einen Antragsteller abzufertigen. Wir begannen um 3 Uhr, waren um 10,30 Uhr endlich fertig. Ich „zählte“ noch am folgenden Tag weiter. Das eine steht fest: Herr Bürgermeister Bartke weiß die Intelligenz der Moorbauern usw. nicht richtig einzuschätzen!

 

Juni 1939. Große Trockenheit.

Am 1. Mai regnete es in Strömen. Von dem Tage bis zum … [kein Eintrag] hat es von einigen Schauern, die aber leider keine Linderung brachten, abgesehen, nicht wieder geregnet. Die Heuernte brachte nur 2/3 des normalen Ertrages im Moor. Die Haferernte hat knapp die Saat gebracht. Seltsamerweise hat der Roggen die Dürre gut überstanden, wenn man ihn mit dem Hafer vergleicht.

 

Juni 1939. Wir gehen fast täglich zum Schwimmen!

Im letzten Jahre bin ich schon häufig mit den Kindern zur Hamme gefahren, um zu baden. In diesem Jahre gehen wir täglich zum Schwimmen. Wir fahren zu Beginn der Turnstunde fort und sind in einer Viertelstunde angelangt. Die Fahrt geht über Böttjers Hof, den Bahndamm entlang, über Stelljes (Siedenburgs) Weg am Kalkhaus vorbei nach Hermann Gerkens Hütte. Dort stellen wir die Räder in den Schatten und gehen die Hamme entlang bis zu „Siedenburgs“ Weide, 400 m von der Hütte entfernt. Die Kinder hatten diese Stelle gelegentlich entdeckt und kehrten immer wieder dahin zurück, weil hier der Fluß einen Bogen macht, sodaß die Innenseite des Bogens seicht ist. Daß der Untergrund zugleich so weich ist, sodaß, die Kinder knietief einsinken, störte niemand. Sehr schnell entkleideten sich die Kinder, um dann langsam hineinzusteigen. Manche blieben überhaupt gerne auf dem Ufer stehen. Ich hatte sehr viel zu tun, sie ins tiefe Wasser zu locken. Ich kam schließlich auf den Gedanken, den Kindern anzuraten, sich ausgediente Autoschläuche zu besorgen. Am folgenden Tag waren schon 6 zur Stelle. Die Kinder vom 6., 7., 8. Jahrgang überwanden ihre Wasserscheu sehr bald. Sehr langsam ging die Sache mit der Unterstufe. Es ist eben nicht möglich, vorbereitende, bzw. Gewöhnungsübungen abzuhalten, weil der seichte Strand fehlte. Die meisten Kinder brachten es wochenlang nicht fertig, dem Beispiel der anderen zu folgen und sich ins tiefere Wasser zu wagen. Ich konnte da alle Stufen der Wasserscheu beobachten. Um die ganz hartnäckigen Feinde des Wassers kümmerte ich mich schließlich nicht mehr. Bei den andern sah ich bald Erfolge. Das 8. Schuljahr schwamm bald glänzend. Nur konnten sich die Mädchen nicht ans Tauchen gewöhnen. Die Kinder gewöhnten sich jedoch so sehr ans Wasser, daß wir die völlig verschlammte erste Badestelle aufgeben konnten, um 100 m weiter hin zu baden. Es (hat nur) ist sehr schade, daß man als Leiter einer ganzen Schule auf dem Lande bleiben muß. Es würde viel mehr anregen, wenn man mitmachen könnte.

 

Festgestellt werden muß aber doch, daß der Eifer der Kinder nach den Ferien merklich nachließ. Ob die Lust verloren gegangen war, oder dämpfte der lange Anmarschweg? Es gehörte doch viel dazu, mindestens 80 % der Kinder bei sich zu haben. Meistens mußte ich noch meine 2 Privaträder hergeben, wenn ich genug gute Schwimmer an der Hamme sehen wollte.

 

Ende Juni 39.

Kommt der Krieg? Ich halte ihn für unvermeidlich! Die meisten Dorfgenossen (halten ihn) glauben jedoch, daß Ad. Hitler noch einen Ausweg finden wird!

 

Juli 1939.

Das Klassenzimmer ist neu gestrichen. Ich habe die alten, hellbraunen Farben wieder gewählt.

 

20. Aug. 39.

Große Aufregung im Dorf! Vier Männer sind schon eingezogen! So nach und nach erfuhr man Einzelheiten: Sie waren nicht zu den Fahnen gerufen worden, sondern sollten Pferde von den Musterungsorten nach Norden treiben! Tags darauf waren alle wieder da!

 

26. Aug. 39.

Krieg? Die ersten, wirklichen Einberufungen zum Währdienst sind da! Sogar nachts klopften die Briefträger an die Fenster, damit die Einberufenen mittags fahren konnten. Überall große Aufregung! Überall wird die Hoffnung ausgesprochen: Es gibt keinen Krieg! Die Feinde geben nach! Ad. Hitler braucht nur zu sagen: Ich gebe euch 24 Stunden zum Nachgeben! Dann geben sie nach! Fast schämte ich mich, so ungläubig zu sein! Es kann diesmal nicht ohne Krieg abgehen, geht es doch um den Führungsanspruch auf dieser Erde! Es wurden einberufen: Dietrich Grimm, Weyermoor Nr. 1, Konrad Kück, Weyermoor Nr. 6, Johann Monsees (Ortsbauernführer) Wörpedahl Nr. 5, 2 Söhne von Hermann Mahnken, Nordwede Nr. 11, Andreas u. Hermann. Fritz Otten, Nordwede Nr. 10, Hinrich Cordes, Nordwede Nr. 9, Hinrich Wellbrock, Waakhausen war abwesend, er nahm an dem Kriegertreffen am Tannenbergdenkmal teil.

 

27. August 39.

In Worpswede stellte das Lager der R.A.D einen Sammelplatz der für die zur Wehrmacht eingezogenen Männer, die Dienst tun sollen in den Arbeitskolonnen. Sie tragen die Uniform des R.A.D mit der Armbinde „Deutsche Wehrmacht“. Sie stehen unter der Führung des Lagerkommandanten des R.A.D. Es ist ein ganz ungewohnter Anblick, die vielen Soldaten im Dorfe spazieren gehen zu sehen, oft begleitet von den Angehörigen, die solange es möglich ist, bei ihrem Vater, Bruder, usw. bleiben wollen. Wenn man Gespräche überhört, so scheinen sie sich stets um die Frage zu drehen: Gibt es Krieg? Die Stimmung ist bei diesen Soldaten gedrückt, eine ganz erklärliche Sache. Diese Männer sind zu plötzlich aus ihren bürgerlichen Berufen gerufen, die sie wohl auch noch oft in großer Unordnung zurückließen, da sie sich nicht so schnell umstellen konnten. Besonders schweren Herzens sind die Landwirte von ihren Höfen fortgegangen.

 

Sorge für die Angehörigen der Soldaten.

Ihre Sorgen sind unbegründet gewesen, von einzelnen, allerdings seltenen Fällen abgesehen. Wie war die Hilfe bei uns in der Schulgemeinde? In meiner Eigenschaft als Blockleiter von Weyermoor und Waakhausen bin ich sofort in die Häuser der Bauern gegangen, die zum Heeresdienst einberufen wurden. In meinem Block waren eingezogen: Grimm, (Nr. 1) Geffken (Nr. 5) Kück, Nr. 6. Frau Grimm blieb ganz allein mit ihrer 8-jährigen Tochter zurück. Ihr Vater, auch schon 70 Jahre alt, wollte täglich von Worpheim kommen und helfen. Frau Grimm war wohl am schwersten betroffen. Sie war aber tapfer und ist sehr gut fertig geworden. Frau Grimm hat, das muß man anerkennen, ebenfalls die wenigsten Ansprüche gestellt und überhaupt nicht geklagt. Frau Geffken war weniger hart getroffen, da sie ihrer kleinen Landwirtschaft schon immer alleine vorgestanden hatte. Ihr Mann arbeitete auswärts. Frau Kück glaubte ebenfalls schon fertig werden zu können; sie ist eine sehr resolute Frau, die tüchtig zupacken konnte u. auch zupackte.

Auf meinem ersten Gange überzeugte ich mich auch davon, daß der Vertreter des eingezogenen Ortsbauernführers, Bauer D. Böttjer in Weyermoor 9, schon brauchbare Ansichten hatte über die Art u. Weise der zu leistenden Hilfe. Ich brauchte mich also darum nicht mehr zu kümmern. Ich hatte selbst genug zu tun. Mein Schwager, Bauer in Worpswede war sofort einberufen worden. Ich hielt es für meine Pflicht, auf seinem Hofe zu arbeiten und habe während der Herbst- u. Wintermonate fast täglich dort mit zugepackt. Zeit genug hatte ich schon dafür, denn der Unterricht fiel zunächst aus.

 

Nach einer Zeit hörte ich, daß die Frauen der einberufenen Männer, doch nicht ganz mit der Hilfe einverstanden waren, die ihnen zuteil wurde. Es schien nicht überall zu klappen, der eine u. der andere Nachbar hatte mal „keine Zeit“, sie selbst beklagten sich, daß ihre Gutmütigkeit ausgenutzt wurde, daß der Feierabend mal lange auf sich warten ließe, usw. Ich traf auch eine der Frauen, die mir einige Klagen vorbrachte, usw: Ich schlug darum vor, daß ein bestimmter Plan aufgestellt werden sollte, mit dem alle einverstanden sein müßten und an dem festgehalten werden sollte. An ganz bestimmten Tagen der Woche sollten ganz bestimmte Bauern bei derselben Frau arbeiten. Dann könnte sie ihre Arbeit danach planen, usw, u. jeder Bauer könnte seine Wochenarbeit danach einrichten u. jeder wußte, daß er nicht über Gebühr in Anspruch genommen würde. Der Plan fand Anklang und wurde befolgt. In Zukunft hörten die meisten Klagen auf. Die Nachbarn haben tüchtig in den Betrieben der einberufenen Männer gearbeitet. Bauer X, der sonst so dafür bekannt war, daß er zu den letzten gehörte, die mit der Herbstbestellung fertig wurden, war in diesem Herbst der erste. Ich habe also bis heute, Herbst 1940, noch kein Wort der Anerkennung darüber von ihm gehört. Im Gegenteil, er u. seine Frau haben noch zu klagen gehabt. Sie meinten jetzt, daß ihr Nachbar nicht genug geholfen habe! Sie übersehen dabei, daß dieser Nachbar auch einen Hof zu betreuen hatte, und zwar ganz allein mit der Hilfe der Schwester!

 

Ich habe auch dafür gesorgt, daß Dirk G. ein neues Dach für sein Haus bekam. Dirk ist etwas dümmer, als eigentlich erlaubt ist; leider kann seine Frau auch nicht mit dem Gelde umgehen. Dirk hatte Pech gehabt, sein Hausdach hatte einige große Löcher, von der Diele aus konnte man den Himmel sehen. Dirk hatte das auch schon bemerkt, auf dem Hofe standen auch schon einige Reitmieten. Der Dachdecker war auch mal da gewesen und hatte einen Anfang gemacht. Für D. war es nun peinlich, daß er in einer Fabrik lohnendere Beschäftigung gefunden hatte. Andere Dachdecker fanden sich nicht, denn Dirk war mal zahlungsschwach. Nun sorgte ich beim Ortsgruppenleiter dafür, daß die Bezahlung der Dachreparatur durch einen Staatszuschuß sichergestellt wurde. Nun fand sich sofort ein Dachdecker und bald war das Haus für den Winter gedichtet und Dirk in Husum war zufrieden.

 

Winter 1940.

Der Winter 1939/40 war ungewöhnlich streng. Lange vor Weihnachten viel der erste Schnee und blieb liegen bis Ende Februar. Dabei herrschte eine grausame Kälte! An manchen Morgenden reichte die Skala auf dem Thermometer nicht mehr aus, wir müssen also über 25 0 Kälte gehabt haben! Die Fenster im Schlafzimmer waren während des ganzen Winters mit dicken Eisblumen bedeckt. Schlimm waren die Leute daran, die zu wenig Heizmaterial hatten. Man mußte ja mehr heizen als sonst, die Vorräte verschwanden und die Kälte hielt an. Kohlen wurden nur zentnerweise ausgegeben, wenn man sie überhaupt erhalten konnte. Da die Schule ausgesetzt war, reichten unsere Vorräte aus. Wie ich das Klassenzimmer hätte auf 17 0 erwärmen sollen, weiß ich nicht!

 

Ein interessantes Schauspiel lieferten uns 6 Wildgänse, die eines Tages auf den Roggenäckern unseres Nachbarn sich niederließen, den Schnee wegkratzen und die junge Saat zu fressen versuchten. Täglich kamen sie an, nach 14 Tagen flogen sie überhaupt nicht mehr fort, dazu waren sie wohl zu matt geworden. Dann verschwand mit tagelangen Abständen ein Vogel nach dem anderen. Einen leblosen Balg fand ich auf, nur Haut, Knochen u. Federn! Ende Februar taute der Schnee endlich auf!

 

Unterrichtsausfall im Herbst u. Winter 1939/40:

  1. Der Unterricht wurde ausgesetzt vom 1.9. bis 9.9. Eine Folge des Kriegsausbruches.
  2. Die Herbstferien dauerten vom 23.9. bis 23.10.1939.
  3. Ab 10.12.39 unterrichtete ich an 3 Wochentagen in der Schule Waakhausen, da der Lehrer zur Wehrmacht einberufen wurde.
  4. Die Weihnachtsferien begannen am 20.12.39.
  5. Da Kohlen nicht beschafft werden konnten, wurde bis zum 26.2.40 nicht unterrichtet.
  6. Die Osterferien dauerten vom 19.3. bis 27.3.40. -

Entlassung der „Husumer“. März 40.

Anfangs März wurden die zum Heeresdienst einberufenen Bauern, die in Husum bei der Baukolonne gearbeitet hatten, wieder entlassen. Die waren aber froh! (In Husum sollten Großflugplätze angelegt werden. Sprungbretter nach England?)

 

April 1940.

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf uns die Besetzung Norwegens!

 

Mai 1940.

Wir kommen aus dem Staunen überhaupt nicht mehr heraus! Die sich immer wiederholende Frage ist: Gab es eine Sondermeldung?

 

Juni 1940.

Und nun auch Frankreich – und – die ersten Toten der Ortsgruppe! Nach Mevenstedt kam eine Trauermeldung, nach Winkelmoor 2 Meldungen. Sehr schmerzlich berührte uns, daß der Wirt W. Merthens, selber alter Kämpfer aus dem Weltkriege 2 Söhne verlor, seinen eigenen einzigen Sohn und seinen Schwiegersohn. Der Sohn war das Opfer eines Autounglückes und der Schwiegersohn ertrank in Oldenburg beim Baden. Er wurde mit militärischen Ehren in Worpswede beigesetzt.

 

Der Engländer über Bremen.

In der Nacht, als Frankreich die Waffen niederlegte, erschien der Engländer mit mehreren Flugzeugen über Bremen und wir bewunderten zum ersten Mal das Schauspiel eines Luftabwehrkampfes am nächtlichen Himmel. Scheinwerfer strahlten nach allen Richtungen, überall funkelten die Bahnen der Leuchtspurmunition. Deutlich hallte der Kanonendonner zu uns herüber. Wir waren noch sehr unvorsichtig, standen in der Haustür und auf den Wegen, um das ungewohnte Schauspiel ganz zu „genießen“.

 

Der Engländer wirft Flugblätter ab.

Während des Winters, Frühjahrs und Sommers erschienen recht häufig alleinfliegende englische Flugzeuge über Norddeutschland und warfen Flugblätter ab. Sie vergaßen auch unsere Moorgebiete nicht. Die Blätter lagen überall umhergestreut, auf Wiesen, Feldern, Wegen, einzeln und gelegentlich auch in Paketen zu 50 oder mehr gebündelt. Die Blätter wurden anfänglich systematisch von H. J. und Jungvolk gesammelt und dem Ortsgruppenleiter zugeführt. Später kümmerte sich niemand darum. Ob die Blätter irgendwie gewirkt haben, weiß ich nicht; denn ich habe von niemanden eine Bemerkung darüber gehört. Es ging diesen Blättern wie den meisten Flugblättern einer vergangenen Zeit: Der Inhalt kann stimmen und kann doch wertlos sein; denn es handelt sich immer um aus dem Zusammenhang gerissene Dinge.

 

8. Juli 1940. Bomben auf Worpheim.

Die englischen Flugzeuge flogen so niedrig über unsere Gegend, daß man mit dem bloßen Auge die Hoheitszeichen hat erkennen können. So haben’s mir verschiedene Leute erzählt; leider weiß man schon von manchen dieser Leute, daß sie auch sonst manches sehen und hören. Aber möglich mag es durchaus gewesen sein. Tatsache ist jedoch, daß diese Feinde niemals von der Bremer Flak beschossen wurden, Tatsache ist auch, daß die einzigen Bomben nur „Kaffeebomben“ gewesen sind. Darunter hat besonders Hüttenbusch zu leiden gehabt. Die ersten Finder lieferten die Kaffeebomben ab, die Untersuchung ergab, daß es sich um einwandfreien Kaffee handelte. Nach der Waffenstreckung Frankreichs wurden die Engländer gehässig. Sie warfen echte Bomben auf Ziele in Bremen. In einer Nacht haben wir sie auch krachen gehört. Amtlich wurden Treffer auf Wohnhäuser, auf das Polizeihaus und leider auch auf das Diakonissenhaus (Krankenhaus) gemeldet. Einige Zivil-Personen wurden getötet und verletzt (22 ?). Später sickerte auch durch, daß eine Hochofenanlage getroffen worden sei. Wenn die Engländer damals energisch zugefasst hätten, wäre sicherlich gewaltiger Schaden angerichtet worden; denn Bremen war ungenügend geschützt. In wenigen Wochen wurde ein sehr kampfkräftiger Flakgürtel um die Stadt gelegt und bald hatte der Engländer nichts mehr zu lachen. Er erschien aber Nacht für Nacht, er war außerordentlich pünktlich dabei; Schlag ½ 1 Uhr hörte man das bekannte fibrierende Brummen der feindlichen Flugzeugmotore. Die Maschinen umflogen in großen Bogen Bremen, jedesmal flogen sie den Weyerberg an. Sie warteten scheinbar auf eine günstige Gelegenheit, nach Bremen durchzustoßen. Sehr oft ist ihnen dies unmöglich gemacht worden, denn die Flak paßte auf. –

 

In der ersten Zeit (bis Mitte Juli) gingen wir oft nach draußen, um das großartige Feuerwerk über Bremen zu sehen und auch zu hören. Wir wurden aber bald vorsichtig, denn sowohl in Oberende wie in der Umgegend von Osterholz wurden großkalibrige Flak-Kanonen aufgestellt. Sie faßten auch nach dem Feind, wenn er über uns (Berg!) flog. Nun rauschten die Sprengstücke nur so durch die Bäume. Bald hatte die Schuljugend einen neuen „Sammel“-fimmel, nämlich Sprengstücke. Die Zuschauer verschwanden bald von den freien Plätzen!

 

Und dann, wie ein Blitz aus heiterem Himmel kam der Krieg zu uns. An einem Sonnabendmittag kam Nachbar E. zu mir herüber und ordnete an, daß ich (als SA-Mann) in Worpheim Wache zu stehen hatte! Dort seien Bomben gefallen, unter ihnen Blindgänger oder Bomben mit Zeitzündung. Sogleich zog ich die Uniform an und radelte fort, von noch zwei SA-Kameraden begleitet. Sie wußten schon von dem Bombenfall, ich noch nicht. Bald sahen wir dann auch die Bescherung, d. h. die großen Löcher! Neun Einschläge waren erfolgt; sie lagen in zwei Gruppen; (siehe Zeichnung). Die Bombenlöcher waren 7 m im Durchmesser, einige auch kleiner. Die Tiefe war nicht festzustellen, weil die Löcher schon mit Wasser gefüllt waren. Da stand ich nun vor meinen ersten Bombenkratern! Meine Kameraden kannten derartiges vom letzten Kriege her. Warum hatte der Feind sich diese Ziele ausgesucht? Der Nachbar Haar erzählte auch noch von Brandbomben, die in seinem Haferfeld im Moor abbrannten. Wir nahmen an, daß der Engländer aus Not gehandelt hatte, vielleicht weil er angeschossen war. Vielleicht mag ihm diese Gegend auch einsam und unbewohnt genug vorgekommen sein. Und um ein Haar wäre hier eine ganze Familie vernichtet worden! Eine Bombe war durch das Strohdach gekommen, dann durch die Kammerdecke, durch den Holzfußboden geschlagen und war im Moor unter dem Hause verschwunden, ohne zu platzen! Einen halben Meter weiter seitwärts und sie wäre durch das Bett zweier Kinder gefallen! Wie ist diese Familie gnädig behütet worden! Ein Blindgänger steckt noch im Düngerhaufen, der dritte wurde noch in einem schmalen Entwässerungsgraben gefunden. Die Bomben waren um 2 Uhr nachts gefallen; genau 6 Stunden später platzte die letzte Bombe! Nun war man in Sorge darüber, daß auch unter den anderen nicht geplatzten Bomben eine weitere mit Zeitzündung sei, die noch später auseinander gehen könnte. Wir sollten nun die etwa neugierigen Dorfleute zurückhalten oder wenn nötig, Hilfe leisten.

 

Immer wieder staunte ich über die Krater! Da hatte eine Bombe zwei Bäume entwurzelt. Eine schlagreife Tanne war mit dem ganzen Wurzelwerk emporgehoben und 4 m zur Seite geworfen worden. Eine fast mannsdicke, hohe Eiche war herausgerissen und an einen Baum gelehnt worden!

 

Und da kommt ein Bauer daher, mit roter Nase und pfiffigen Augen, er kam vom Bäcker und stöhnte einen Augenblick. Er hatte auch seine Ansichten über den Vorfall: „Ja, das ist so: Der W. hat ja nun leicht Streit mit allen Leuten und nun hat er’s auch schon mit den Engländern. Die lassen sich das aber nicht gefallen und hauen wieder.“

 

Dem Wendelken war es sicher nicht nach Streit zu Mute. Er machte einen ganz verstörten Eindruck. Seine Frau war noch unruhiger, sie meinte, diese Nacht würde sie nie überstehen. Bald kam dann auch die hohe Obrigkeit, sich den Schaden anzusehen. Nun hörten wir, daß der Kreis Osterholz in derselben Nacht viele Bombenabwürfe erlebt habe; glücklicherweise waren Menschen nicht zu Schaden gekommen, der Sachschaden sei auch nur gering gewesen.

 

Die Gendarmerie traf einige Anordnungen. Eine ganze Woche mußte Tag u. Nacht bei den Kratern gewacht werden, da es möglich sei, daß eine der Bomben noch nach 8 Tagen platzen könne.

 

Bomben auf Nordwede.

14 Tage später wurden zwei Bomben über dem Schnaarschen Grundstück, Nordwede Nr. 2 abgeworfen. Sie platzen dicht hinter dem Hause. Auch diesmal war das Schicksal gnädig, es gingen nur einige Scheiben in Trümmer. Und es wohnen 10 Menschen, darunter 6 Kinder in dem Hause!

 

Was die Leute über die Bombenabwürfe sagten.

Ja, das ist ja schrecklich, daß hier bei uns Bomben fallen, daß kann auch nicht immer so gut ablaufen, so ungefähr sprachen sich die Leute aus. H. H., ein ganz weiser Mann, fragte meine Frau: Wat meent se denn nu to us Schützenfest? Man versuchte, der Sache so wenig Bedeutung wie nur möglich beizumessen, vor allen Dingen aber sich nicht gegenseitig Angst zu machen. Viel trug natürlich dazu bei, daß fast alle Familienväter oder Söhne derartiges vom Weltkrieg her noch in Erinnerung hatten, die Ruhe behielten und dafür sorgten, daß ihre Familie sich nicht allzu sehr aufregte. Die alten Kämpfer steckten uns alle mit ihrer Ruhe an.

 

Ende Juli 40. Die Wörpedahler Straße fertig!

In diesen Tagen sind die letzten Klinker auf den Sand des Wörpedahler Ortsdammes gelegt worden. Nun fühlen sich die Dorfleute erlöst! Sie haben eine Straße! Sie sind darauf sehr stolz und sie dürfen auch stolz sein. Die fertige Straße ist ein Beweis dafür, was eine Dorfgemeinschaft leisten kann, wenn sie richtig geführt wird sich einmütig hinter einen Führer stellt. Im letzten sehr strengen Winter haben die Dorfleute unter Führung ihres Bauernführers Johann Monsees, (Nr. 5) die schweren Kantsteine und die vielen tausend Klinker am Bahnhof Worpswede in Loren geladen und sie nach Wörpedahl gefahren und den Sanddamm entlang aufgestapelt. Alle Leute aus Nordwede, Wörpedahl u. Weyermoor haben Hand angelegten. Viele Stunden lang haben sie gestapelt, im Schnee u. Frost, Sonntags wie Alltags. Die Arbeit der Leute muß anerkannt werden! Sie wollten die Straße so schnell wie möglich fertig wissen und da wegen des Krieges die Arbeitskräfte fehlten, so mußte eben zur Selbsthilfe gegriffen werden. Nun können sie aufatmen! Diese Dorfleute sind doch würdige Nachkommen der ersten Moorbauern, die mit Karren eine Sanddecke auf die Moordämme fuhren!

 

August 1940. Sommerferien.

Die Sommerferien sind in diesem Jahre verlängert worden, bis zum 24. August. Angeordnet wurde dies vom Reichsmarschall Göring. Gründe wurden nicht angegeben. Anzunehmen ist aber, daß man die Kinder nicht den Angriffen der Engländer aus der Luft aussetzen wollte.

 

18.08.40. Horchgerät der Flak auf dem Schulhof.

Abends, 10,15 Uhr bekamen wir Einquartierung, Soldaten der Flak, die ein Horchgerät bedienen wollten. Da das Klassenzimmer der Ferien wegen frei war, richteten sie sich darin häuslich ein. Stroh wurde an eine Längswand entlang aufgeschüttet. Darauf ließ ich einige lange Laken aus Sackleinwand legen. Meine Frau gab ihnen einige ältere Stuhlkissen als Kopfkissen. Die Soldaten schienen derartige einfache und auch harte Nachtlager durchaus gewohnt zu sein, wunderten sich über nichts und hatten auch keine Worte der Klage. Fünf Soldaten waren vier Wochen lang Mitbewohner des Schulhauses. Sie waren alle nette Gesellen, die uns durchaus nicht zur Last fielen. Wünsche hatten sie genug, besonders häufig standen sie in der Küche: Wie macht man dies und das? Woher bekommen wir dies, usw. In der Waschküche richteten sie sich eine Küche ein, mit nagelneuem Ofen und Geräten. Mit Lebensmitteln wurden sie gut versorgt, die Nachbarn meinten, so gut hätten sie noch nie essen dürfen. Mit den Dorfleuten wurden sie bald gut Freund. Sie haben anfangs große Mengen Eier aufgekauft.

 

Den Dienst nahmen die Soldaten sehr ernst. Oft mußten sie nächtelang draußen sein, bei jedem Wetter, und die August- u. Septembermonate waren Regenmonate. Die Soldaten glaubten auch an die Wirksamkeit ihres Gerätes, wussten auch in der Theorie gut Bescheid.

 

Nach vier Wochen kam über Nacht der Befehl, wieder abzurücken. Abends um 6 wurden sie endlich von einem Lastwagen abgeholt. Mein kleiner Junge vermisste sie noch tagelang, denn sie hatten immer eine Leckerei für ihn zur Hand.

 

27.9.40.

Unser Schulrat Fischer wurde August 1940 einberufen. Die ersten Kriegsmonate hat er im Westen verbracht. Sie brachten auch die Beförderung zum Hauptmann und Führer einer Kompanie. Wir wurden jetzt von der Nachricht überrascht, daß er vorläufig beurlaubt sei und den Dienst aufnehmen werde. Im ersten Kriegsjahr war Schulrat Dudt in Verden Stellvertreter.

 

1.10.40.

In den letzten Wochen und Monaten ist die Frage lebhaft diskutiert worden, wann und ob wir in England landen werden. Alle schienen überzeugt zu sein, daß wir noch vor Beginn des Winters den Versuch machen werden. Einig ist man sich nur nicht darüber, ob der Versuch gelingen wird. „Wenn der Graben nur nicht so breit wäre“!

 

Oktober 1940. Sammlungen für das Rote Kreuz.

Die Sammlungen für das Winterhilfswerk hörten sonst im Frühling auf. In diesem Jahr wurden die Sammlungen weiter fortgesetzt, die Erlöse kamen dem Roten Kreuz zugute. Ich wurde überrascht von der Großzügigkeit der Dorfbewohner. Sie gaben durchschnittlich 3 x soviel als für das W.H.W. Vom Roten Kreuz hatten die Bauern ganz bestimmte Vorstellungen, viele hatten im Weltkrieg 14/18 den Segen dieser Einrichtung am eigenen Leibe verspürt. Das W.H.W. kennt man nicht so genau, unsere Bauern sind da eben immer der gebende Teil. Auch taucht die Frage auf, warum noch zusätzliche Unterstützungen, wenn alle arbeiten und verdienen. Erzählt man ihnen etwas mehr, dann geben sie wohl zu, daß sei ja ganz schön. Ob sie aber innerlich auch zustimmen, erscheint fraglich, angesichts der Bemerkung, daß sei eben immer so gewesen, daß viele Leute im Winter oder so knapp beißen müßten.

 

Oktober 40.

Endlich ist die Straße nach Worpswede fertig!

 

14. Nov. 40. Ein englisches Flugzeug abgeschossen.

Eine große Aufregung erlebten wir heute Abend gegen 10 Uhr. Ein englischer Bomber war von Scheinwerfern gefasst worden u. ein Treffer in den Motor zwang zur Notladung. In der Luft fing ein Flügel der Maschine Feuer, brach ab und schwebte langsam zur Erde herunter. Die Maschine selbst fiel schließlich in steilem Sturzflug in Westerwede auf eine Wiese. Kurz vor dem Aufprall explodierte die Maschine. Einzelne Stücke flogen bis nach Adolphsdorf. Von der Maschine blieben nur noch Trümmer übrig.

 

Die Besatzung 1 Offizier und 3 Mannschaften überlebten den Sturz nicht. Die Leute hatten keine Zeit mehr, auszusteigen. Sie sind in Worpswede auf dem Friedhof beigesetzt, allerdings ohne militärische Ehren.


Anmerkung Hans Jürgen Rabenstein aus einer mail:

According to our records, the entire crew of 5 were buried the following
graves in Worpswede Civil Cemetery:-

Plot 1, Row 1 ( Feld 1, Reihe 1)

Grave 1 - Sgt. Lister
Grave 2 - Sgt. Stockman
Grave 3 - Sgt. Smith
Grave 4 - Sgt. Hanlon
Grave 5 - F/O Champness

These casualties were removed to Becklingen War Cemetery in March 1947


 

Wörpedahl bekommt wieder eine Garnison.

Am Abend dieses Ereignisses bekam unser Dorf wieder eine Garnison von Flaksoldaten. Sie hatten einen Scheinwerfer und ein Horchgerät zu betreuen. Die Geräte standen auf Johann Mahnkens (7.) Hochmoor. Der Stromgenerator stand auf Bungers Weg (Nr. 8 in Nordwede). Die Leute schliefen vorläufig in der Stube bei Bunger. Nach einigen Tagen wurde auch eine Wohnbaracke auf dem Hochmoor aufgestellt. Sie wurde in Teilstücken angeliefert und von den Soldaten zusammengesetzt. Die Baracke ist wohl zu klein für 12 Mann. Sie hoffen aber ja alle, bald wieder abziehen zu können. Ich habe mich gewundert, daß man die schweren Geräte, (60 Ztr.) überhaupt an Ort und Stelle bringen konnte. Die Soldaten waren sehr wenig erbaut davon, auf dem Hochmoor wohnen zu müssen. Nach einigen Regentagen wurde es auch schon nötig, einen Lattenweg vom Nordweder Damm her bis an die Baracke zu legen. Nach einigen Wochen sah die Anlage überhaupt schon sehr nett aus.

 

Weihnachten 1940. Soldatenbetreuung.

Die Frau des Ortsbauernführers bat mich kurz vor Weihnachten, ich möchte doch mithelfen, der „Garnison“ eine Weihnachtsüberraschung zu verschaffen. Ich war natürlich einverstanden. Wir einigten uns sehr bald über die Einzelheiten. Ich ging von Haus zu Haus (in Weyermoor) und sammelte die Zutaten für einige Kuchen. Jede Hausfrau spendete etwas. Die eine 2 Eier, die andere einen „Klacks“ Butter und Mehl. Diese Zutaten brachte ich zu 2 Bäuerinnen, von denen ich annahm, daß sie so großzügig sein würden, die Kuchen zu backen (je einen). Den Dritten wollte meine Frau backen. An einem bestimmten Tage sollten die Kuchen dann zu den Soldaten gebracht werden. Es fand sich aber niemand hierzu. Die jungen Mädchen taten schüchtern, die Eltern hatten weder Zeit noch Lust. So wurde aus einer gemeinsamen Feier nichts. Schließlich erklärte der Zellenleiter H. sich bereit, mit mir zusammen die Kuchen zu den Soldaten zu bringen.

 

Am Tage vor der Bescherung kam jedoch ein Bauer zu mir in die Wohnung (ich war abwesend) und lud mich ein, an einer kleinen Feier mit den Soldaten teilzunehmen. Sie hätten Kuchen gekauft, ihre Frauen wollten den Kaffee kochen usw. Meine Frau war natürlich sehr erstaunt, wies auf die getroffenen Abmachungen, Vorbereitungen hin, usw. Der Bauer tat, als wisse er von nichts. Er meinte nur, er hoffe, daß ich doch nicht gesammelt hätte usw! Was konnte ich machen? Ich gab nach, nahm an der „Feier“ teil, sie war ja auch ganz nett usw. Am Weihnachtssonntag bekamen die Soldaten dann auch noch die von mir „besorgten“ Kuchen. Die Soldaten werden sich eins gelacht haben!

 

An diesem Beispiel sieht man nur ganz deutlich, welcher Geist in unseren Dörfern sitzt!

 

10.12.40. – Zusammenstoß mit dem Bürgermeister.

Heute Nachmittag hatte ich leider eine kurze, aber sehr heftige Auseinandersetzung mit dem Bürgermeister. Sie spielte sich in dem Schulzimmer ab. Letzten Endes rührte sie her von der „Bankfrage“. Vom Ortsgruppenleiter Stolte erfuhr ich, daß unser Schulrat auf Urlaub sei. Ich fuhr noch am selben Tage zu ihm, und ich hatte Gelegenheit, die Sache mit ihm zu besprechen und zu überlegen, was man unternehmen könne, um die Sache in der nötigen Weise zu verfolgen. Sobald die Angelegenheit erledigt ist, werde ich zusammenhängend darüber schreiben.

 

Anschaffungen für Schule u. Wohnung, usw.

In diesem Jahr ist manches für Schulraum und Dienstwohnung getan worden. Der Bürgermeister behauptete in einer Sitzung der Gemeinderäte, daß noch nie soviel für dies Schulhaus getan worden sei. Als Fortsetzung fügte er (soll er!) hinzu: Wenn die Lehrer nur wüssten, was sie wollten, hätten die Schulen in Südwede u. W. längst neue Bänke, usw. Der Herr Bürgermeister muß dann einiges aufgezählt haben. Jedenfalls wurde ich später von einem Gemeinderat nach Einzelheiten gefragt. Er meinte, ich hätte 3 neue Fußböden bekommen! Der Bürgermeister habe das gesagt. Er blieb auch steif und fest bei der Behauptung. Nun, an der Auffassungsfähigkeit usw. dieses Gemeinderates ist wohl allerlei auszusetzen. Ich freute mich jedoch, dies gehört zu haben!

 

Was ist denn nun gemacht worden? In drei Zimmern sind die Fußböden „festgekeilt worden“. In zwei Zimmern bin ich selbst unter die Fußböden gekrochen. Dafür liegen sie dann auch fest. Der dritte Boden ist endlich von einem Zimmermeister „gekeilt“ worden. Darum wackelt er heute auch noch! Im Durchgang nach der Diele ist ein Schrank eingebaut worden. Endlich kann man Besen so unterbringen, wie dies sich gehört. Außerdem nimmt der Schrank noch die Küchenvorräte auf usw. Es fehlt nur noch der Anstrich!

 

Dann wurde die Diele neu gestrichen.

 

Der Kellerraum bekam endlich eine neue Tür, die ich jedoch selbst bezahlte.

 

In der Dienstwohnung wurden 5 Türen einseitig gestrichen. Eine wesentliche Verbesserung stellt das Doppelfenster dar, das vor das Eßzimmerfenster kam. Schließlich sollen mir die Barauslagen für meine „Badezimmer“einrichtung vergütet werden. (145 RM rund.) Ich hatte einen neuen Ofen für ein Zimmer beantragt, der mir jedoch verweigert wurde. Mir soll es einerlei sein; ich bezahle die Feuerung ja nicht!

 

Die Schule bekam Doppelfenster! Sie bewähren sich vorzüglich.

 

Für 125 RM Sportgeräte wurden gekauft.


Die Schülerbücherei wurde mit 90 RM bedacht. Eine neue Karte wurde gekauft. Einige Sachen konnten nicht von den Firmen geliefert werden. Ich konnte ein würdiges Führerbild kaufen. Sehr begrüßte ich, daß endlich die Dachrinnen eine unterirdische Verbindung mit dem Abzugsgraben bekamen. Ich ließ es mir schon gefallen, die meisten Tonrohre auf dem Rade von Worpswede nach hier zu fahren, da ich nicht monatelang warten wollte, bis ein Fuhrmann sich fand.

 

Schließlich ließ ich 2 Fenster in die Wand des „Nebenzimmers“ einsetzen.

 

Alles in allem haben die Aufwendungen über 1000 RM gekostet. Das ist allerhand; sehr wenig, wenn man bedenkt, was [man] in den letzten 50 Jahren für dies Haus und für diese Schule getan hat. Natürlich hat die Regierung einen Zuschuß gegeben.

 

Es werden wohl noch Jahre hingehen, bis ich meine Wohnung mit der Dienstwohnung des Dorfoberhauptesvergleichen kann. Ein Trost ist mir geblieben: Ich wohne hier sehr billig. Für Wohnung und Garten werden mir 27 RM monatlich abgezogen. Außerdem kann ich nochmals 10 RM absetzen, die ich dadurch erspare, daß ich meine Feuerung geliefert bekomme.

 
 
 

Tietjens Hütte

 

 

 

 

 

Der Reichsarbeitsdienst (abgekürzt RAD) war eine Organisation des nationalszialistischen Machtapparates im Deutschen Reich der Jahre 1933–1945. Ab Juni 1935 musste dort jeder junge Mann eine sechsmonatige, dem Wehrdienst vorgelagerte Arbeitspflicht ableisten. Ab dem Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde der Reichsarbeitsdienst auf die weibliche Jugend ausgedehnt. Der Reichsarbeitsdienst war ein wichtiger Bestandteil der Wirtschaft im nationalsozialistischen Deutschland und des nationalsozialistischen Erziehungssystems. (Quelle: Wikipedia)

Der Lehrer August Schröder kritisiert die Arbeitsmoral der Arbeitsdienstler in der Chronik.

 
 
 
 
 
 
 
 

Eine große Aufregung erlebten wir heute Abend gegen 10 Uhr. Ein englischer Bomber war von Scheinwerfern gefasst worden u. ein Treffer in den Motor zwang zur Notladung. In der Luft fing ein Flügel der Maschine Feuer, brach ab und schwebte langsam zur Erde herunter. Die Maschine selbst fiel schließlich in steilem Sturzflug in Westerwede auf eine Wiese. Kurz vor dem Aufprall explodierte die Maschine. Einzelne Stücke flogen bis nach Adolphsdorf. Von der Maschine blieben nur noch Trümmer übrig.

 

Die Besatzung 1 Offizier und 3 Mannschaften überlebten den Sturz nicht. Die Leute hatten keine Zeit mehr, auszusteigen. Sie sind in Worpswede auf dem Friedhof beigesetzt, allerdings ohne militärische Ehren.

According to our records, the entire crew of 5 were buried the following
graves in Worpswede Civil Cemetery:-

Plot 1, Row 1 ( Feld 1, Reihe 1)

Grave 1 - Sgt. Lister
Grave 2 - Sgt. Stockman
Grave 3 - Sgt. Smith
Grave 4 - Sgt. Hanlon
Grave 5 - F/O Champness

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