Nordwede ("Sniederdörp")

Erinnerungen aus der Vergangenheit Nordwede’s,

besonders der Familie Wellbrock, Nordwede 6, zusammengestellt von
Jakob Diedrich Wellbrock, Lehrer i. R.

1927/28

Der Nordweder Damm war die Grenze zwischen dem Amte Osterholz und dem Amte Lilenthal. Nordwede gehörte zum Amt Lilienthal.

 

Was ich hier mitteile, habe ich von meinem Großvater Jakob Wellbrock und meinen Eltern Gevert Wellbrock und Helene, geb. Murken erfahren und meine eigenen Erinnerungen dazu getan.

Das Dorf Nordwede ist im Jahre 1764 gegründet und besiedelt. Es zählt 13 Anbaustellen. Der erste Ansiedler war ein Schneider namens Johann Gerhard, davon ist das Dorf im Volksmunde „Sniederdorp“ genannt bis auf den heutigen Tag, amtlich heißt es Nordwede. Warum es Nordwede genannt wurde, ist wohl schwer festzustellen, jedenfalls ist diese Namengebung in Beziehung zu bringen mit dem sehr viel älteren benachbarten Worpswede.

Johann Gerhard bebaute die Hofstelle No. 11, das ist die erste Stelle in Nordwede zunächst dem Weyerberge, die mit ihrer ganzen Breite an den Nordweder Damm reicht. In meiner Jugendzeit bewohnte die Stelle eine Familie Vogt, später ist die Stelle verkauft und das Haus abgebrannt, durch Blitzschlag entzündet, aber wieder aufgebaut. Die übrigen Hofstellen sind jedenfalls in den allernächsten Jahren besiedelt. So steht im Worpsweder Kirchenbuche eine Geburtsanzeige: Albert Kück von Nordwede u. seine Ehefrau Lücke eine am 22. Aug. 1764 geborene Tochter Alheit. Zeugen: Anna Kohlmanns von Waakhausen, Grete Dreyers u. Dierk Geffken von Nordwede. Auf welcher Stelle dieser Kück gewohnt hat, konnte ich bis jetzt nicht feststellen, ob auf Stelle No. 1 oder 6. Die Ansiedler sind wohl von Worpswede, oder aus den älteren Orten des Teufelsmoores gekommen, oder auch weiterher von der Geest. Dieser letztere Fall ist wohl in den meisten Fällen anzunehmen. Mein Großvater, der 1821 nach Nordwede geheiratet, wußte zu erzählen, daß der erste Anbauer auf unserer Stelle Kück geheißen hat, und von Worpswede hierher kam.

1764 war eben der Siebenjährige Krieg zu Ende, durch den auch unser Hannoverland, das damals zu England gehörte, stark in Mitleidenschaft gezogen worden war. Die Engländer waren ja, wie bekannt ist, mit Preußen verbündet. Da hat zu diesem Kampfe Hannover jedenfalls die meisten Kämpfer stellen müssen, und alle waffenfähigen Männer waren zum Kriegsdienst verpflichtet. Jeder wünschte wohl vom Kriegsdienst befreit zu sein. Der hannoverschen Regierung war groß daran gelegen für das Teufelsmoor Ansiedler zu bekommen, und so bestimmte sie, daß jeder Bauernsohn, der eine Mooranbaustelle zur Besiedlung übernahm, vom Militärdienst befreit sein sollte. Auf diese Weise sind jedenfalls viele Moorstellen zur Besiedlung gekommen. Unsere Stelle Nordwede 6 übernahm ein Sohn des Bauern Böttjer, Worpswede 6. Er mochte aber selbst die Stelle nicht besiedeln, daher übergab er dieselbe seinem Großknecht Kück, der sich eben verheiratet hatte. (Im Kirchenbuche in Worpswede sind in den Jahren um 1764 viele Eheschließungen verzeichnet mit der Bemerkung: „Hat noch keine Wohnung“, und ich nehme an, daß alle diese eine Moorstelle übernommen haben.) Damit besagter Kück um so williger war, die Stelle anzunehmen, baute ihm Böttjer ein Haus und gab ihm 50 Thaler bares Geld dazu. Das Haus wird nicht groß gewesen sein, es stand etwa 50 m nordwestlich von dem jetzigen Hause und ist 1825 von meinem Großvater auf Abbruch verkauft nach Waakhausen an einen Kohlmann. Da hat es unter Hsn. 4 gestanden bis 1926. Da ist es wieder abgebrochen und an den Maurer Barnstorf in Oberende verkauft. Ob es noch wieder aufgebaut wird, ist fraglich. Die Stelle 4 in Waakhausen hat Ebbers No. 3 angekauft. An der Stelle, wo das Haus hier auf dem Hofe 6 gestanden hat, sind noch niedrige Stelle[n] im Boden in der Richtung der Umfassungsmauer. Auf dem Feuerloch steht ein dicker Eichbaum der oben in zwei dicken Zweigen ausläuft. Unser jetziges Haus hat mein Großvater 1825 gebaut und zwar auch aus einem Abbruch auf dem Hofe No. 13 in Teufelsmoor, wo es 50 Jahre gestanden hat. Daß es ein Bauernhaus gewesen ist, sieht man gleich an der Breite des Hauses und dem schweren Holzwerk. (Weiteres darüber später).

Ein Ansiedler war also da, aber es war schwer hier eine Familie zu ernähren, da doch alles wilder Sumpf war, kein Weg noch Steg noch Graben, durch den das Wasser hätte abfließen können. Am Dorfe vorüber führte zwar der sog. Totenweg, der Gemeindeweg von Waakhausen. Darüber habe ich früher ein altes Schriftstück gelesen, wenn ich recht erinnere aus dem Jahre 1786. In diesem hieß es: Die Grenze zwischen dem Amte Ottersberg und dem Amte Osterholz verläuft an der Südseite des Totenweges, der von Andreas Lilienthal in Waakhausen, jetzt Viehland No. 1 bis Albert Kück in Worpedahl 7 reicht. Die Anbauer an der Südseite des Weges sind berechtigt den Weg zu benutzen, haben aber den Graben an der Südseite des Weges zu reinigen und die Grabenerde auf den Weg zu bringen, zu dessen Verbesserung. Der Damm gehörte also von vornherein zu Waakhausen. In was für einem Zustande er war, läßt sich leicht denken, wenn er mit Moorgrabenerde ausgebessert wurde. In der nassen Jahreszeit war er nicht zu passieren. So war z. B. im Herbst und Winter bei Tauwetter für die Nordweder keine andere Möglichkeit ihre Gestorbenen zum Kirchhof in Worpswede zu bringen, als den Sarg auf eine Leiter zustellen und ihn an festen Boden am Weyerberg zu bringen, wo er dann mit einem Wagen abgeholt wurde. Dabei konnten die Träger nicht den Weg benutzen, sondern mußten über mit Heide bewachsene Strecken gehen. Kühe konnten kaum hierher gebracht werden, als höchstens mitten im Sommer, oder wenn die Erde hart gefroren war. Kühe konnten auch nicht gehalten werden, da kein Futter vorhanden war. An der Hamme war Futter genug, aber wie das daher schaffen? Gräben für die Schiffahrt waren noch nicht da, und mit Gespann zu verkehren, daran war ja erst recht nicht zu denken. Es blieb also nur die Schiebkarre, oder gar der Sack auf dem Rücken übrig und damit Futter von den Hammewiesen herbei zu holen, war doch wohl gar zu schwierig.

Es ist aber jedenfalls mit den Kanälen bald besser geworden, da Abflußgräben gemacht werden mußten um das Land trocken zu legen und mit der Bearbeitung des Bodens begonnen werden konnte. Woher bekamen denn die Leute ihren Lebensunterhalt? Vorläufig sind sie als Tagelöhner zur Geest gegangen und haben als Tageslohn nicht bares Geld, sondern Lebensmittel erhalten. Zwischendurch fingen sie an das Land urbar zu machen, wo der Boden soweit entwässert war, daß er bearbeitet werden konnte. Aber Getreide wuchs nicht auf dem wilden Sumpfboden: Da fing man an den Boden umzuhacken, die oberste Schicht wurde in der Frühjahrssonne bald trocken und das Moor wurde gebrannt. In die warme Asche wurde Buchweizen gesät. Man versuchte es auch mit Roggen, aber der gedieh nur spärlich, Hauptfrucht war Buchweizen. Diese genügsame Pflanze ist aber in ihrem Anbau ziemlich unsicher, da sie unter den Nachfrösten stark leidet. Darum heißt es im Volksmunde: Buchweizen ist eine Schlumpfrucht und dann Klumpfrucht.

Der Moorboden kann aber nur höchstens 3 Jahre hintereinander zum Buchweizenbau gebrannt werden, weil dann die Narbe aufgebraucht ist. Das Land muß dann aber erst wenigstens 30 Jahre wieder brach liegen, um wieder mit Heidekraut zu bewachsen und eine neue Narbe zu bilden, bis es wieder zum ertragfähigen Buchweizenbau geeignet ist. Die Hofstellen in Nordwede sind aber nur 28 – 30 Morgen groß. Wenn davon der Hofraum mit Garten abgerechnet wird, dazu noch etwas Roggen- und Kartoffelland, dann bleibt die Fläche zum Abbrennen nicht mehr allzu groß, weil sie nur wenig Jahre gebraucht werden kann. Die Nordweder haben dann von den Bauern in Worpswede die Erlaubnis erhalten, daß denen gehörige Moor, das um den Weyerberg liegt, abzubrennen, und davon ist viel Gebrauch gemacht worden.

Im Laufe der Zeit [ist] aber der Roggenanbau mehr in Schwung gekommen, als Vieh mehr angeschafft werden konnte und damit Dünger zur Verfügung war. So hatte mein Urgroßvater Dierk Böttjer, wie urkundlich feststeht, bei Übergabe der Stelle an meinen Großvater im Jahre 1822, also nach etwa 60 Jahren der Besiedlung: 100 Viertel Roggen (a 25 Pfd.) 50 Viertel Buchweizen, für 50 Thl. Garleder, 15 Stück Kuhhäute in der Gerberei in Osterholz, 200 Ellen Leinen, 300 Pfd. Schweinefleisch, 200 Pfd. Kuhfleisch, 100 Pfd. Hanf, 4 gute Kühe, Heu und Stroh dafür auf 1 Jahr.

Daraus geht hervor, daß einige Ansiedler sich schnell empor gearbeitet haben, trotz der ungünstigen Verhältnisse. Dabei ist im Falle Dierk Böttjer zu bedenken, daß er Schumacher war und einen großen Kundenkreis hatte, denn es waren in der ganzen Umgegend weiter keine Schuhmacher als mein Urgroßvater und sein Nachbar Jürgen Haar, dann erst in Gnarrenburg wieder einer. So hat mein Großvater, der bei Jürgen Haar hier das Schuhmacherhandwerk erlernt hat, erzählt. Noch in meiner Kindheit hatte mein Vater Kundschaft bis dicht vor Gnarrenburg in Kuhstedt. Wenn auch von den Moorbewohnern und denen in Worpswede nicht viel Schuhzeug angeschafft werden konnte, manche Leute haben wohl während ihres ganzen Lebens kaum Lederschuh besessen, und dazu war das Schuhzeug, Damen- sowohl wie Herrenschuhe, dauerhaft, aus Rindleder gemacht, so brachte doch der große Kundenkreis guten Verdienst. Gewöhnlich trugen die Leute Holzschuhe, die aus Birken, Erlen oder Weidenholz, das ja auf dem sumpfigen Boden gut gedieh, gemacht wurden. Die Holzschuhe sind noch heute auf dem feuchten Moorboden die beste Fußbekleidung.

Die Entwässerung des Moores hat wohl am meisten Schwierigkeiten gemacht. Die Hamme lag zu weit entfernt, als daß ihr von jedem Grundstück das Wasser direkt zugeleitet werden konnte. Es wurde zunächst ein Hauptkanal, die alte Semkenfahrt, gegraben, die das Wasser der Hamme zuführen sollte. Semkenfahrt, weil der Kanal zum Teil durch, zum Teil an dem Semkenschen Hof in Waakhausen, entlang führt. Dann wurden die Nebengräben durch die einzelnen Ortschaften gemacht. In die Nebengräben münden die Scheidegraben (Schehe) zwischen den einzelnen Hofstellen. Die Fläche, die zu Ackerland zunächst den Häusern bestimmt war, wurde durch Gräben in Kämpe eingeteilt von 150 – 250 Schritt Länge und die Kämpe wieder durch 1 Fuß breite und etwa 2 Fuß tiefe Gräben in 6 Schritt breite Stücke zerschnitten. So wurde also bis ins Kleinste für Entwässerung gesorgt.

Die Semkenfahrt und deren Nebengräben waren also in der Hauptsache Entwässerungsgräben, mußten aber dann auch der Schiffahrt dienen, um Baumaterialien für die Wohnungsbauten der Ansiedler heranschaffen zu können und Futter für das Vieh von den Hammewiesen holen zu können und später den Torf an den Markt bringen zu können. Das Baumaterial wurde auf Kähnen und Bockschiffen die Hamme herauf bis zur Holzstelle (Hollstäer) gebracht und mußte dann in den Moorkähnen in die Kanäle weiter befördert werden. Ging noch kein fahrbarer Graben an die Baustelle, dann wurden die Balken weite Strecken auf der Schulter und Steine, Kalk, etc. auf der Schiebkarre über das weiche Moor an Ort und Stelle gebracht.

Nach einigen Jahren war das Moor so weit entwässert, daß die Kanäle für die Schiffe nicht genug Wasser hatten, besonders im Sommer und Herbst, deshalb wurden Staue (Schütten) in diese gebaut: Die Staue konnten herausgenommen werden um Schiffe durchzulassen und nach dem Passieren derselben wieder eingesetzt. Das war eine beschwerliche Arbeit und es ging auch viel Wasser dabei verloren, auch konnte kaum ein Schiffer allein den Kanal passieren. Es war festgesetzt, daß z. B. in der Heuernte die Leute, die am weitesten den Kanal hinauf mußten, nachmittags 4 Uhr auf der Hamme vor der Semkenfahrt mit ihren Heuschiffen bereit liegen mußten, um den Kanal aufwärts zu passieren. Zuerst kamen die Leute aus Otterstein, dann Adolphsdorf u.s.w. bis zuletzt Nordwede. Die Schiffe wurden zu 10 – 15 aneinander gekoppelt und die ganze Begleitmannschaft mußte vorne an der Leine die Flotte ziehen. Die Leute aus Otterstein hatten von der Hamme bis ans Haus 4 Stunden in einem fort zu ziehen. Das war saure Arbeit, da es stromaufwärts ging und in regenarmer Zeit auch Wassermangel war.

Zum Herausnehmen der Schütten war ein Mann angestellt, Schüttheer genannt. Dieser hatte eine Pike mit einem langen Holzstiel, mit der das Schutt niederlegte und nach dem Passieren der Flotte wieder aufrichtete. Sollte ein Zug Schiffe abfahren, dann erscholl der Ruf: Hoal ut! Dann nahm der Schuttheer das Schutt heraus und die Schiffbegleitmannschaft legte sich in Sielen und zog die Flotte stromaufwärts. Nachdem dann der Mann das Schutt wieder aufgestellt hatte, mußte er sich beeilen zum nächsten Schutt zu kommen, um dort dieselbe Arbeit zu tun. Jede Flotte mußte von einem Schuttheer begleitet werden. Die Nordweder waren also abends die Letzten, die mit ihren Heuschiffen die Semkenfahrt hinaufziehen konnten. Manchmal waren sie abends um 11 Uhr noch an der Hamme. Die vorauffahrenden Flotten hatten das meiste Wasser ablaufen lassen, da haben sie manchmal sehr schwer an der Leine ziehen müssen und kamen dann todmüde gegen 1 Uhr zu Hause an. Schnell mußten die Schiffe ausgeladen werden, denn sie mußten die ersten sein, die den Kanal wieder verließen.

Da hat es für die Leute während der Heuernte wenig Ruhe gegeben. Es wird von einem Hausbesitzer erzählt, daß er nach dem Ausladen des Heus, während die Mutter für den folgenden Tag das Essen rüstete, sich an die Bodenleiter lehnte und ruhte. Zum Schlafen hinlegen durfte er sich nicht, dann wäre er wegen allzu großer Müdigkeit nicht früh genug wieder wach geworden. Das Ausladen des Heus machte auch viel Arbeit, da die Gräben noch nicht bis ans Haus gingen. Das Heu wurde auf 2 hölzerne Stangen gelegt und von 2 Personen ins Haus getragen, manchmal 200 m und noch weiter war der Weg. Dann mußte es noch auf den Boden gebracht werden. Daß dabei alle Kinder u. Alte, helfen mußten, läßt sich leicht denken. Auf unserer Stelle war die Ausladestelle bei der Brücke, links neben dem Hausdamm vom Hause aus gesehen. Da war eine Schiffsstelle gemacht, etwa so lang, daß 2 Schiffe hinter einander stehen konnten. Der Schiffgraben an Georg Haars Seite ist Anfang der 60ger Jahre erst gemacht und zwar zunächst bis an den Fußpfad, dann vor dem Hause über. Ende der 60ger Jahre, bis ans Feld, und weiter am Felde vorbei bis zum Sneetgraben, 1884 bis 1890. Der Graben bis zum Fußpfad ist zuerst benutzt, als meiner Mutter Aussteuer von Viehland her per Schiff gebracht wurde, 1863.

In den 50ger Jahren des v. Jahrhunderts wurden dann an Stelle der Schütten die Klappstaue in die Semkenfahrt eingebaut. Das sind tannene Stäbe, die von Höft zu Höft über die Fahrrinne reichen und durch Lederstreifen miteinander verbunden sind. Diese werden quer gegen das abfließende Wasser gestellt. Bei Passieren eines Schiffes werden die Klappen durch dieses nach unten gedrückt und sobald das Schiff darüber hinweg ist, durch den Wasserdruck wieder aufgerichtet. Dadurch geht nicht so viel Wasser verloren, es braucht auch kein Mann zur Bedienung da zu sein, und jeder kann fahren, wann es ihn beliebt. Das war eine große Verbesserung und Erleichterung für die Schiffahrt. Im Nordweder Graben waren 3 Schütten, eins vor der Stelle No. 1, nahe der Semkenfahrt, eins vor Stelle No. 4 und eins vor Stelle No. 8.

Für die Unterhaltung dieser Staue wurden aus der Semkenfahrtkasse für jedes (? unleserlich) Thl. ausgeworfen. Die Semkenfahrtskasse wurde unterhalten durch den, für den Kanal passierenden Schiffe, gehobenen Zoll. Die Zollhebestelle war in Waakhausen in der Wirtschaft von Mehrtens. Für jedes Schiff Heu und Roggen mußten 20 Pf. von den Interessenten entrichtet werden, Nichtinteressenten zahlten mehr, für ein Torfschiff und sonstige Handelsartikel jedesmal 60 Pf.. Baumaterialien kosteten 20 Pf. Die Interessenten hatten jeder eine bestimmte Strecke am Graben, diesen von Unkraut und Schlamm zu reinigen und die Ufer in Ordnung zu halten. Zweimal im Jahre wurde nachgesehen, ob alles in Ordnung sei.

Vor einem Jahr ist durch die Interessenten beschlossen, die Semkenfahrt als Schiffahrtsweg aufzugeben und nur noch als Entwässerungskanal zu belassen, weil die Unterhaltung zu teuer wird und der Kanal nur noch von einzelnen benutzt wird. Jetzt haben alle Leute im Moor Gespann. Schiff und Schiebkarre waren für die Moorbewohner die einzigen Beförderungsmittel bei ihrer Arbeit, und daß ist schwere Arbeit. Viele Leute im Moor gingen darum auch nach vorne geneigt und hatten einen schwerfälligen Gang. Die Leute waren so sehr an die Schiebkarre gewöhnt, daß von einem Mann erzählt wird, daß er, wenn er nach Bremen ging, und auch nichts hinzubringen hatte, doch seine Schiebkarre mitnahm, und nach dem „Warum“ gefragt, er könnte es doch ohne die Karre leichter haben, antwortete: „Denn hev ick doch Sellskupp“! (Gesellschaft.)

Erst  nach dem auf die Wege Sand geschüttet worden ist, konnte man mit Pferd und Wagen verkehren. Der Nordweder Damm ist in den 60ger Jahren des vorigen Jahrhunderts gesandet und an den Seiten mit Birken bepflanzt. Fuhrwerke waren aber vorläufig noch selten. Woher auch den Sand nehmen, da kein Kanal an den Weyerberg führte! Als die Moorbewohner ihre Hofstellen längere Zeit bewirtschaftet hatten, erfuhren sie, daß an einigen Stellen unter einer dünnen Torfschicht Sanddünen lagerten. Solche Dünen fanden sich in Lüninghausen, Moorringen, Bergedorf, u.s.w. Die darüber liegende Moorschicht war weißer Torf und als dieser abgegraben war, wollte auf dem Boden nichts wachsen, er ist zu eisenhaltig, wohl aber wurde er ertragfähiger, wenn der Boden gebrochen und tiefer gelegt war. Die Leute, die solche Sanddünen in ihrem Grundstück hatten, waren den Sand gerne los, und die auf tiefgründigem Boden wohnten, brauchten ihn notwendig, um unter ihre Gebäude Sand schütten zu können und die Hofstellen fester zu machen, an die Wege konnte vorläufig noch nicht gedacht werden. So holten sie dann im Winter bei offenem Wetter mit ihren Schiffen den Sand herbei mit der Schiebkarre wurde er an Ort und Stelle gebracht. Erst mußte ein Kanal in den Sandberg gegraben werden, um mit den Schiffen ankommen zu können. Dann ging das Sandholen an. Ein Mann konnte wohl täglich höchstens 2 Schiffe, a 1 ½ - 2 cbm, holen. Das Ein- und Ausladen war die schwierigste Arbeit, dabei floß trotz Winterzeit mancher Schweißtropfen. Das volle Schiff wurde vom Ufer aus mit dem Schiebruder stromabwärts gefahren. Die leeren Schiffe wurden aneinander gekoppelt und an der Leine gezogen. Dabei hieß es: „Nu faat de Linen man fast an und denn goah man slank too“!

Wollte jemand auf tiefgründigem Boden ein neues Haus bauen, oder sollte ein halb versunkenes umgebaut, oder höher gestellt werden, so mußte vorher wochenlang von mehreren Männern Sand geholt werden. Konnte in einem Winter nicht Sand genug für den Bau herbeigeschafft werden, so mußte mit dem Bau noch ein Jahr gewartet werden. Es gilt bei uns als Regel: „Ist der Untergrund fertig, dann ist der Bau über die Hälfte fertig“. Die ersten Häuser der Anbauer waren nur klein, mehr Hütten, da die Leute nur für sich ein Unterkommen brauchten. Als aber die Acker- und Viehwirtschaft mehr in Betrieb kamen mußten die Häuser größer gemacht werden. Bei steigendem Wohlstand wurden auch die Häuser besser gebaut und herausgeputzt. So kann man wohl behaupten, daß um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Moorbewohner für die Ausschmückung ihrer Häuser im Allgemeinen mehr Geld aufwandten wie die Bauern auf der Geest. Das kam wohl auch mit daher, daß die Moorleute durch die Torfgräberei mehr bares Geld in die Hände bekamen, als die Geestleute.

Die ersten Anbauer bauten ihre Häuser aus Fachwerk auf das nackte Moor. Die Wände konnten nicht mit Ziegelsteinen gemauert werden, weil diese zu viel Geld kosteten und dazu wurde der Bau durch die Steine für den Untergrund zu schwer. Die Wände wurden aus trockenem Torf gemacht, oder aus Weiden geflochten und mit Lehm abgeputzt. In alten Häusern findet man noch heute solche Wände. Das Dach wurde aus Rohr, Schilf, Heide oder Stroh gemacht. Waren die Häuser auch leicht gebaut, so sanken sie doch allmählich tiefer ein. Dann mußte entweder das Haus hochschroben werden, oder auch wurde der Boden aus dem Hause herausgegraben, da der Boden im Anfang nicht mit Brettern oder Lehm bedeckt worden war. Das Hochschrauben wurde mittelst Holzschrauben gemacht und dann frische Erde oder Sand unter die Schwellen gebracht. Um das Haus her wurde der Boden tief abgegraben, damit die Feuchtigkeit vom Hause abgeleitet wurde. Sehr feucht blieben die Wohnungen trotzdem.

So ist unser Haus im Frühjahr 1889 durchweg 3 Fuß hoch geschroben, gleichzeitig wurde eine neue massive Hinterwand gebaut. Wir hatten bis dahin ein offenes Feuer auf dem Flur, darüber hängte an einem Kesselhaken der Kochtopf. Wie wir beim Hochschrauben des Hauses waren, wurde der Kochtopf mit gehoben, aber das Feuer kam nicht mit, und da hatte meine Mutter ihre liebe Not für 8 – 12 Arbeitsleute das Essen gar zu machen. Zu diesem Bau gebrauchten wir viel Sand, hauptsächlich da, wo die massive Hinterwand aufgeführt werden sollte. Das Moor mußte abgegraben werden. Ein 2 ½ m breiter 2 ½ m tiefer und 16 m langer Graben wurde ausgeworfen und mit Sand wieder vollgeschlemmt. In mehreren Jahren nacheinander hatten wir etwa 600 Schiffe voll Sand herangeschafft, der sämtlich beim Hausbau drauf gegangen ist. Jetzt sieht man nichts mehr davon, wohin all der Sand gekommen ist. Den Sand haben wir aus Lüninghausen, Westerwede, Bergedorf, Moorringen etc. geholt. Mein Vater hatte gewöh[n]lich 2 Leute zu Hilfe beim Sandholen. Ich mußte jeden Tag zur Schule nach Worpswede. Am Nachmittag nahmen die 3 Leute 4 Schiffe mit und füllten alle mit Sand. Die 3 fuhren dann nach Hause und ich kam nach Schulschluß von W. und brachte das 4. Schiff voll Sand nach Hause. Auf diese Weise war jeden Tag 1 Schiff voll gewonnen.

In neuerer Zeit macht man es sich bequemer. Man wirft in etwa 2 m Abstand Löcher aus, so groß, daß ein Mann eben darin arbeiten kann, bis auf den festen Untergrund und baut auf Ziegelsteinen Pfeiler darin hoch, die durch Bogen verbunden werden. Auf diese legt man dann die Schwellen des Hauses auf denen die Wände errichtet werden, da kann das Haus nicht versinken. So haben wir es auch bei unserem Hausvorbau 1923 gemacht.

1877 wurde das alte Schulhaus in Worpedahl größer gebaut. Dazu mußten die Schulinteressenten den Sand zum Untergrund liefern. Es führt aber kein Schiffgraben und auch kein fester fahrbarer Weg zum Schulgrundstück. Da haben die Leute den Sand mit Schiffen an den Nordweder Damm vor den Schulweg gebracht und mit der Schiebkarre zum Schulgrundstück gefahren. Der Schulweg ist etwa 600 m lang. Jeder Interessent hatte 12 Schiffe voll zu liefern, jedes Schiff sind 40 Schiebkarren und dazu noch der schlechte Weg.

1895 wurde das jetzige neue Schulhaus gebaut. Da brachten die Schulinteressenten wieder den Sand mit Schiffen an den Nordweder Damm, liehen sich von einem Unternehmer Geleise und Kippwagen und fuhren damit den Sand an Ort und Stelle. Weyermoor und Worpedahl hatten einen Kanal von Weyermoor her an die Baustelle gemacht. Die Kippwagen mußten von den Leuten geschoben werden. Sämtliches Baumaterial wurde auch auf den Wagen zur Baustelle geschafft. Es war auch schwere Arbeit, aber im Vergleich zu früher doch bedeutend bequemer.

Die ersten Ansiedler hatten im Anfang genug zu tun mit der Entwässerung und Urbarmachung des Bodens, zwischendurch gingen sie auf Tagelohn zu den Bauern in Worpswede, Waakhausen und weiterhin auf die Geest, und erhielten als Lohn Naturalien, besonders Lebensmittel für Frau und Kinder. Im Winter waren sie oft wochenlang bei den Bauern mit Dreschen beschäftigt. Bald kam aber die Torfgräberei in Betrieb, als das Moor soweit entwässert war, daß man den untersten schwarzen Torf herausstechen konnte. Da gab es im Frühjahr, Sommer und Herbst reichlich Arbeit und damit auch besseren Verdienst.

In der Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde in Nordwede viel Backtorf gemacht, jetzt hat er fast ganz aufgehört, weil das noch vorhandene Moor sich nicht dazu eignet und die Absatzmöglichkeiten nicht mehr so günstig sind, und daher das Backtorfmachen sich kaum noch lohnt. Das Backtorfmachen ist eine sehr schwere Arbeit. Der kräftigste Mann hat den Torf loszustechen. Die Kuhle wird an manchen Stellen 3 m und mehr, tief. Die Erde wurde dann auf Schiebkarren, später auf flachen Wagen, die auf Holzgeleisen liefen, von den Frauen oder Kindern auf die Fläche gebracht, wo der Backtorf bereitet werden sollte. Über der Backtorferde lagert eine 1 – 1 ½ m tiefe weiße Torfstreuschicht, die zum Auffüllen der Kuhle gebraucht wird. Die Backtorferde ist 1 – 2 m tief, die Kuhle 2 – 3 m lang und 1 ½ - 2 m breit. Die Erde wird auf einer gut geebneten Fläche ausgebreitet, zu unterst Klipp, die unterste Moorschicht, darüber der braune Torf, der noch mit den Resten des Wollgrases durchsetzt ist. Beides wird mit einer Forke zerkleinert und gut gemengt und mit bloßen Füßen gut geknetet. Dann wird der Brei zuerst mit den gewöhnlichen Holzschuhen und dann mit Brettholzschuhen gut geebnet und mit einem Spaten glatt gestrichen. Nach wenigen Tagen wird der Kuchen mit einem Spaten in kleine Stücke, zu Torf, geschnitten. Haben Sonne und Wind den Torf einigermaßen getrocknet, so daß er eine feste Rinde hat, dann wird er umgekehrt und 2 Torfstücke aufeinander gelegt. Das nennte man „in’n Diek“ legen. Ist das Trocknen weiter fortgeschritten, dann wird der Torf in Haufen aufgeschichtet. Bei nassem Wetter muß der Torf noch mehrfach umgeschichtet werden, ehe er in Haufen gelegt werden kann. Zwischendurch mußte die Frühjahrs Feld- und Gartenarbeit besorgt werden. Schon vor Sonnenaufgang waren die Backtorfgräber bei der Arbeit und erst mit Sonnenuntergang wurde Feierabend gemacht. Die Mutter mußte das Vieh versorgen und Essen bereiten, in der übrigen Zeit half sie auch mit beim Torf. So wurde auf dem Moor gearbeitet bis zur Heuernte, Ende Juni.

Von der Heuernte habe ich früher erzählt. Zwischen Heu- und Kornernte wurde wieder am Torf gearbeitet, in Haufen gelegt u.s.w. Die Kornernte war weniger beschwerlich. Das wenige Korn war bald gemäht und in Hocken gestellt und wenn es so weit trocken war, mit der Karre ins Haus gefahren und auf den Boden gebracht.

War das Korn eingebracht, so war der zuerst gemachte Torf soweit getrocknet, daß er an den Markt gebracht werden konnte, in Bremen, Vegesack und anderen Orten an der Hamme u. Weser. Der Vater war schon vorher hingewesen zu den Leuten, die im vorigen Jahr seine Abnehmer gewesen waren und [hatte] mit ihnen die Lieferzeit und den Preis verabredet. Ein Schiff, ein halber Hunt, 6 cbm kostete in den 70ger Jahren des vorigen Jahrhunderts um 20 M frei Haus. Das war kein hoher Preis für die Ware, die soviel saure Arbeit gekostet. Wo viel Arbeitskräfte vorhanden waren in der Familie, wurden wohl 20 – 30 Hunt, das sind 40 – 60 Schiffe voll, den Sommer über gemacht und verkauft. Wenn man die Summe, die der Torf einbrachte auf die einzelnen Arbeitstage verteilt, dann kam für jede Person kein hoher Tagelohn heraus, das Moor garnicht mitgerechnet. Aber die Leute hatten doch zum Herbst eines Summe bares Geld in Händen mit der sie ihre Schulden bezahlen konnten, denn den Sommer über war alles auf Borg geholt. Die Kaufleute und Handwerker waren auch darauf eingestellt, im Herbst, zu Michaelis, wurde bezahlt, kurz vor dem großen Scharmbecker Herbstviehmarkt. Mein Vater war Anfang Oktober mehrere Tage unterwegs und besuchte die Kundschaft, forderte das schuldige Geld ein und nahm neue Bestellungen entgegen. Dann erst konnte er auch dem Lederhändler bezahlen.

Daß die Frauen und Kinder tüchtig mit im Moor und auf dem Felde helfen mußten, war selbstverständlich, die hatten keine Zeit zum Schrubben und Reinmachen. Die Stube und der Flur wurden mit dem Reisigbesen ausgefegt und dann weißer Sand gestreut, der mit der Schiebkarre vom Weyerberg geholt war. In manchen Häusern unterblieb das Fegen auch noch die ganze Woche über und erst am Sonntagmorgen kam die Mutter dazu. Am Sonntag ging dann der größte Teil der Familie zur Kirche, und bei dieser Gelegenheit wurden die Einkäufe für die nächste Woche besorgt, an den Wochentagen war nicht Zeit dazu.

War das Korn eingebracht, dann fuhren die Männer den Torf mit ihren Schiffen weg, die Frauen, Mädchen und Kinder mußten unterdessen das Ackerland für die Wintersaat zubereiten, die Grüppen reinigen, den Dünger mit der Karre aufs Land bringen und den Boden umhacken. War der Roggen gesät, dann spannten sich die Leute selbst vor die Egge und machten das Land fertig. Zwischendurch mußten sie den trockenen Torf ans Wasser fahren mit der Karre, damit der Mann, wenn er von einer Reise nach Hause kam, schnell wieder sein Schiff füllen und wieder abfahren konnte. In jeder Woche machte er 3 – 4 Reisen.

Auf der Semkenfahrt schob der Mann das Schiff mit einem großen Schieberuder vom Lande aus, auf der Hamme mußte er staken, und wo das Flussbett tiefer wurde, wriggen. War der Wind günstig, dann wurde das Segel aufgestellt. Dann hatte es der Schiffer bequem, besonders bei warmen Wetter lag er gemütlich in seinem Schiff, das Steuer im Arm. Die gegen den Wind fahren mußten, hatten feste zu schieben, um das Schiff vorwärts zu bringen. Die gemütlich dahin Segelnden neckten wohl gar noch die schwer arbeitenden Leute. So sagte ein segelnder Schiffer zu einem alten 70jährigen gegen den Wind stakenden Mann: „Harm, hest woll noch Lust too’n foehren“? „Nä“, sagt der, „segeln doa ick leewer“!

Auch Bockschiffe holten den Torf ab, und zwar wurden dieselben auf der Holzstelle beladen. Schlepper gab es noch nicht, die Mannschaft des Schiffes mußte, wenn der Wind nicht günstig war, das Schiff an der Leine flußauf- und abwärts ziehen. Sie hatten manchmal große Not, das Schiff um die scharfen Biegungen, die die Hamme vor ihrer Begradigung machte, zu bringen.

An einer solchen Ecke lagen einmal 2 Mann an der Leine befestigt an der Erde und hielten sich am Grase fest, das schwere Schiff wollte nicht um die Ecke und sie mußten alle Kräfte anspannen um das Schiff im Fahrwasser zu halten. Ein gemütlich vorüber segelnder Jan rief ihnen zu: „Na, roauht jih juh doar en bäeten“?! Die beiden antworteten nicht, man kann sich aber denken, wie sie den Jan verwünscht haben. Die sich begegnenden Schiffer begrüßten sich ständig mit den Worten: „Wullt’r mit nupp“? Oder: Kummst’r mit doahl? Bei gutem Wetter führten die Dahinstakenden auch eine lebhafte Unterhaltung, da manchmal 50 – 60 Schiffe in einer Reihe hintereinander fuhren. Das Gespräch mußte laut geführt werden, da der Abstand zwischen den einzelnen Schiffen immerhin noch ziemlich bedeutend war. Für den am Ufer Lauschenden waren diese Gespräche sehr interessant anzuhören, da über alles Mögliche und Unmögliche gesprochen wurde und sehr viel Schifferlatein dabei war, so daß in manchen Fällen Münchhausen noch hätte von ihnen lernen können.

Bei stürmischem und regnerischem Wetter hatte der Jan nichts zu lachen, dann fuhren sie ohne Gruß aneinander vorüber. Mußte er Übernacht unterwegs bleiben, dann schlief er in seiner Koje vorn im Schiff, hatte aber sein Schiff irgendwo am Ufer festgemacht. Manche Schiffer hatten in ihrer Koje auch einen kleinen Herd, so daß [sie] sich selbst Kaffee kochen und Pfannkuchen backen konnten. Die Koje war zum Schlafen mit Stroh und Decken ausstaffiert. Einigen Schiffern war diese Schlafgelegenheit so lieb geworden, daß sie auch, wenn sie abends nach Hause kamen, ihr Schiff festmachten und statt im Hause ins Bett in ihre Koje stiegen.

Verwegene Schiffer trieben auch einen lebhaften Schmuggel mit zollpflichtigen Waren. Ehe Bremen im Zollanschluß war, lohnte sich die Schmuggelei, denn es wurden z. B. an einem Sack Salz 100 Pfd. 5 – 6 M verdient. In jedem Hause wurde nur Schmuggelware im Haushalt gebraucht, die Leute bildeten sich ein, nicht bestehen zu können, wenn sie für ihre Kolonialwaren auch noch den Zoll bezahlen müßten. Sollte eine Hochzeit oder Kindtaufe gefeiert werden, so mußte alles, was dazu gebraucht wurde an Kolonialwaren, Getränke, Kleindungstücke u.s.w. geschmuggelt werden und meistens gelang es auch die Waren unbehelligt nach Hause zu bringen, trotz der vielen Grenzaufseher. Den Leuten war der Schmuggel so zur Gewohnheit geworden, daß sie diese Steuerhinterziehung gar nicht als Unrecht empfanden, sondern sich noch untereinander damit rühmten. Im Ganzen muß ich auch eingestehen, daß den Leuten eine Betrügerei mit Torf oder anderen Sachen garnicht als etwas Verwerfliches vorkam, sondern [sie] sich noch rühmten: „Denn’n heff ick oaber hat“!

Manches heitere Stücklein wurde erzählt, wie die Schmuggler die Grenzaufseher getäuscht, und welchen Gefahren sie entronnen. Wurde ein Schmuggler gefaßt, so mußte er den 10fachen Zoll bezahlen, die Ware und die Transportmittel wurden beschlagnahmt und er bekam noch dazu Gefängnisstrafe. Es haben auch manchmal blutige Kämpfe zwischen den Grenzaufsehern und Schmugglern stattgefunden wie Heinrich Schriefer es erzählt in seinem „Der rote Geerd“.

Der Schmuggel wurde auch stark betrieben zur Winterzeit, wenn die überschwemmten Hammewiesen und das St. Jürgenfeld festgefroren waren. Die Moorbewohner waren tüchtige, durch harte Arbeit und Entbehrungen gestählte ausdauernde Schlittschuhläufer. So wurde einmal ein Schmuggler mit einer schweren Schlittenladung auf dem Eise im St. Jürgenfelde bei nebligem Wetter von einem Grenzaufseher überrascht. Er mußte seinen Schlitten im Stich lassen und sich selbst in Sicherheit bringen. Der Grenzaufseher konnte den Schmuggler nicht einholen und schob mit dem schweren Schlitten in der Richtung zur  Zollstelle ab. Er hatte sein Dienstgewehr auf den Schlitten gelegt. Bald kam ihm ein gewandter Läufer entgegen, es war der Schmuggler. Beide kamen in ein Gespräch und am Schluß zur Vereinbarung, der Fremde sollte den Schlitten zur Zollstelle bringen und erhielt dafür sofort 3 M zur Belohnung. Der Zug setzte sich in Bewegung, aber der Grenzaufseher konnte nicht so schnell folgen. Der Schlittenfahrer bekam bald einen ziemlichen Vorsprung und als der ihm groß genug dünkte, setzte er alle Kraft an und verschwand im Nebel. So hatte er seine Ware wieder und noch 3 M dazu, das Gewehr des Grenzaufsehers warf er irgendwo in ein Gebüsch. Der Grenzaufseher soll bald darauf versetzt sein.

Ein andermal wurde ein Schmuggler, der zu Fuß über Eis ging, es lag Schnee und war Tauwetter, von einem Grenzaufseher überrascht. Er trug einen Sack mit 2 Brod Zucker. Er wollte sich durch Entlaufen retten, rutschte aus und lag auf dem Eise. Schon glaubte er die Hand des Grenzaufsehers zu fühlen, aber der lag 20 Schritt weiter auch auf der Nase. Der Schmuggler raffte sich schnell auf, ließ den Sack liegen und rannte davon. Der Grenzaufseher hinter ihm her, konnte ihn aber nicht einholen. Der nahm schließlich den Sack auf und trug ihn zur Zollstelle. Unterwegs wurde ihm der Sack immer leichter und als er zu Haus ankam, war der Sack leer. Er hatte nämlich im Tauwasser gelegen, der Zucker war geschmolzen und der Dienstrock des Grenzaufsehers war mit Zuckerwasser getränkt.

Ein andermal kam ein Schmuggler in der Nacht, es war Sommer, mit einem kleinen Schiff (Seelenverkäufer), in dem er 4 Sack untergebracht hatte, von Blockland her auf einem Graben durch das St. Jürgensfeld nach Mittelbauer. Er mußte den Fußweg, der durch das Dorf geht, die Landstraße war noch nicht da, in einem Höft, über welches ein Steg führte, passieren. Dort pflegten die Grenzaufseher zu patroullieren. Der Schmuggler glaubte, diese seien fortgegangen, fuhr aber dennoch dem Höfte sehr vorsichtig zu. Vor dem Höfte war eine breite Wasserkuhle mit Wasseraloe und Schilf bewachsen. Als er ganz nahe am Höft ist, wird ihm plötzlich ein lautes „Halt“ zugerufen. Der Schmuggler tritt kurz entschlossen auf den Rand des Bootes und bringt dieses zum Kentern und springt in die Schlammkuhle, sinkt bis ans Kinn ein und verhält sich mäuschenstill. Er war durch die Wasserpflanzen ganz verdeckt. Die Beamten haben stundenlang nach ihm gesucht, aber nicht gefunden. Er hatte seine Ware eingebüßt, aber straffrei. Er lacht noch heute (Heinrich Kück Bergedorf). Mancher Schmuggler hat bei solchen Strapazen seine Gesundheit eingebüßt und ist früh ins Grab gesunken, aber dennoch konnten die Leute das Schmuggeln nicht lassen, es hatte für sie einen gar zu großen Reiz. Man kann auch nicht sagen, daß je ein Schmuggler, trotz seines hohen Gewinnes, reich geworden wäre. Wurde er gefaßt, dann mußte er schwere Strafe bezahlen, und gelang eine Tour, dann ließ er sich’s auch etwas kosten. Wie gewonnen, so zerronnen. Ein anderer Mann kam durch die Lilienthaler Weide zu Fuß von Bremen und hatte unter seinen Kleidungsstücken steuerpflichtige Sachen untergebracht, doch so, daß nichts Auffälliges an ihm zu bemerken war. Die Zollstelle in Warf hatte er glücklich passiert. Da begegnet ihm in der Weide ein Grenzaufseher. Dem kam der Mann verdächtig vor und unterzieht ihm einer Leibesprüfung. Da kamen denn die Sachen zutage. Schließlich nimmt er ihm auch noch den Hut ab, er trug einen Zylinderhut (Angströhre), und es kollern noch einige Düten zur Erde. Das wird dem Mann doch zu viel und er sagt ganz resigniert: Zweers weg, nu mutter’t wol all rut.! Er hat hohe Strafe zahlen müssen. Diese Geschichten sind mir von den betreffenden Personen selbst erzählt.

Die Schulverhältnisse waren in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts unzureichend, das wurde erst besser nach 1872. Über die ersten Anfänge des Schulbetriebs in hiesiger Gegend habe ich keine Nachricht. Ich glaube nicht, daß meine Großmutter, 1800 geboren, hat schreiben können, lesen konnte sie. Dagegen mein Großvater und Urgroßvater haben schreiben können. Mein Vater, 1838 geboren, und meine Mutter schrieben gut und auch einigermaßen richtig.

Während der Schulzeit meiner Eltern war nur in den Wintermonaten Unterricht von Ende Oktober bis Ende April. Im Sommer mußten die Kinder bei der Arbeit helfen und auch der Lehrer, der für den Unterricht im Winter 5 Thaler und Reihetisch erhielt, ging seiner landwirtschaftlichen Beschäftigung nach und machte Backtorf, ging auf Tagelohn oder dergleichen. Meistens waren die Lehrer einfache Stellbesitzer im Moor, die lesen, schreiben, das Einmaleins und einige Gesänge singen konnten. Von Vorbildung war keine Spur. Wollte jemand eine Schulstelle übernehmen, dann wurde mit den Dorfinsassen ein Lohn verabredet (see meeerten sick een Scholmester). Der Kandidat mußte sich bei den Pastoren einer Prüfung unterziehen und dann konnte er Schule halten. Die Prüfungen wurde nur oberflächlich gemacht, oft genügte eine bloße Vorstellung, besonders dann, wenn der Prüfling der Frau Pastor ein Pfund Butter oder ein Dutzend Eier oder dergl. mitgebracht hatte.

Die Schulen in den Kirchdörfern hatten vorgebildete Lehrer. In den Sommermonaten war am Sonntagmorgen von 6 – 8 Uhr Unterricht, wer dann nicht kam, dem wurde der Kopf nicht gewaschen. Zur Kirche mußten aber die größeren Kinder an jedem Sonntag. Von Unterrichten war in der Schule weniger die Rede. Die meiste Zeit wurde mit Auswendiglernen des großen und kleinen Katechismus und Kirchengesängen zugebracht, dann Bibellesen, Schreiben, Rechnen und Singen. Die Kleinen lernten Lesen durch Buchstabieren. Das wurde fleißig geübt, einzeln und im Chor. Nordwede und Worpedahl bildeten eine Schulgemeinde, Weyermoor hatte eine Schule für sich. Ein eigenes Schulhaus war nicht vorhanden, die Schulinteressenten mußten jährlich der Reihe nach ein Schulzimmer stellen. Mein Vater hat im letzten Schuljahr in Nordwede 9 zur Schule gegangen, seine jüngere Schwester, meine Schwiegermutter in ihrem späteren Hause, Worpedahl 5 und im letzten Jahre in dem neuerbauten Schulhause, das 1854 erbaut wurde. Lehrer war damals Behrend Bunger, der war Stellbesitzer in Nordwede No. 4. Übrigens waren in Nordwede noch mehr Stellbesitzer Lehrer, so Diedrich Siem No. 9 Lehrer in Südwede, Hinrich Mahnken No. 12 in Niederende St. Jürgen. Diedrich Siem war im Sommer Steuermann auf einem Bremer Bockschiff, das von der Hamme nach Bremen fuhr.

Wie es in der alten Schule zuging, habe ich selbst noch zum Teil miterlebt. Ich war der Erstgeborene in der Familie und kam, als ich 4 Jahre alt war, (die Familie erhielt mehr Zuwachs) zu meinem Großvater nach Viehland und besuchte dort die Schule bis zu meinem 9. Jahre. Schule war nur in den Wintermonaten. Der Lehrer, Hermann Wellbrock, ein Bruder von meinem Großvater, war 1800 geboren, also schon im vorgerückten Alter, als ich zur Schule kam. Er hatte ein eigenes Häuschen auf dem Warf von jetzt Georg Blendermann, damals Jacob Bl., später Diedrich Bl. Viehland No. 6. Die Frau des Jacob Bl. war eine Nichte des alten Lehrers, hieß Maria, geb. Feldhusen.

Das Haus war auch Schulhaus, jetzt wird es von dem Besitzer als Viehstall benutzt. Das Häuschen hatte nur eine Tür. Durch diese kam man in einen kleinen Vorraum. Gleich links war die Stubentür. Neben der Stubentür stand ein kleiner Feuerherd, über dem ein Kesselhaken hängte. Über dem Herd war ein Rauchfang, der in einen Schornstein mündete. Im Rauchfang hingen die Würste, die dem Lehrer von den Gemeindegliedern geschenkt waren.

Die Stube war zugleich Schulzimmer und Wohnzimmer. Neben dem Vorraum war eine kleine Kammer ohne Fenster, die einen Zugang hatte vom Schulzimmer aus und als Schlafkammer für den Lehrer diente. Unter dem Kammerboden war ein kleiner Keller, der als Vorratsraum diente, es waren Kartoffeln, Äpfel und dergl. darin. Wellbrock führte ein Junggesellenleben, zu Mittag hatte er Reihetisch.

Das Schulzimmer war wohl 4 m lang und 3 m breit. Rechts neben der Stubentür stand ein kleiner eiserner Ofen, der vom Vorraum aus geheizt wurde. Neben dem Ofen stand der Lehnstuhl des Lehrers mit einem kleinen Tisch davor. An der Seitenwand des Zimmers links stand eine Bank auf der die Mädchen saßen. Rechtwinklig dazu an der Hinterwand war eine Bank für die Knaben. Die Schule zählte um 12 Schüler. Die Schultischplatte war wagerecht und ziemlich breit, darunter ein Kasten, in dem die Kinder ihre Schulsachen aufgewahrten. Vor dem Tisch, an dem die Knaben saßen, stand eine kleine niedrige Bank, die Schlüngelbank, auf der diejenigen Platz nehmen mußten, die ihrem Übermut zu großen Spielraum gelassen hatten. Zugleich diente diese Bank als Stufe zum Übersteigen der Tischplatte, damit die Knaben an ihren Platz gelangen konnten. Auch mußte der Schüler, der seine Rechenexempel nicht konnte, sich auf die Bank neben den Lehrer setzen, der ihm dann die Lösung plausibel machte.

Nahe an der Decke über den Schultischen war eine Schnur gespannt. Über diese wurden die Schreibhefte gehängt, wenn eine Seite voll geschrieben war, Löschblätter gab es nicht. Die Schreibhefte waren von den Schülern selbst, oder deren Eltern angefertigt. Die größeren Schüler hatten Hefte bei denen der Foliobogen in Quartformat zusammen geschlagen waren, die Jüngeren knickten diese nochmals zum Oktavformat zusammen. Blaue oder farbige Umschläge waren selten und wurden als Luxus betrachtet. Hatte sich jemand ein Heft beim Buchbinder gekauft, dann wurde er als besonders vornehm angesehen. Die Blätter wurden mit dem Taschenmesser aufgeschnitten und die etwaigen Unebenheiten am Rande mit dem Taschenmesser entfernt. Daß diese Hefte nicht immer akkurat aussahen, läßt sich denken. Ich fühle es noch, wie stolz ich war, als ich später (1872) nach Worpedahl zur Schule kam, mir mein Vater ein Schreibheft in blauem Umschlag gebunden, die Ränder am Lineal mit dem Schustermesser glatt geschnitten und mit Roggenmehlkleister ein Etikette aufgeklebt hatte. Hefte zu kaufen, dazu waren die Groschen zu sparsam.

Es ist nachher bald anders geworden. Linien mußten sich die Schüler sich selbst ziehen und zwar hatte jeder Schüler dazu ein vierkantiges Lineal, „Lieker“ genannt, das einfach umgekippt wurde und dessen Seitenflächen die Weite der Linien ergaben. Vorschriften über Linienweite in den Schreibheften und einen Normalduktus gab es damals meines Wissens noch nicht, das ist erst später aufgekommen. Wer von den Schülern einigermaßen das Schreiben der Groß- und Kleinbuchstaben beherrschte, bekam als Vorschrift einen Papierstreifen, auf dem der Lehrer ein kurzes Sprichwort, oder sonst irgendeinen Satz vorgeschrieben hatte. Damit wurde eine Seite im Heft voll geschrieben und dann gegen einen andern Zettel umgetauscht. Dabei war darauf geachtet, daß auf jedem Zettel ein anderer Großbuchstabe zur Übung kam.

An Schulbüchern wurden gebraucht, bei den Kleinen eine Hahnenfibel, dann, wer lesen konnte, bekam den kl. Katechismus und Gesangbuch, dann der große oder Landeskatechismus und Bibel, ein Rechenbuch für Anfänger, die Rechenfibel von Flickenschildt, und wer die binnen hatte, bekam die „Bremer Münze“, darin hauptsächlich kaufmännische Rechenaufgaben standen und ganz komplizierte Aufgaben bot, wenn man bedenkt, daß jedes deutsche Ländchen und bald jedes Städtchen seine eigenen Münzen, Maße und Gewichte hatte. Dann wurde in meiner ersten Kindheit das Lesebuch von Flügge eingeführt und wir hatten einen Schriftleser von Beumer. Der enthielt in verschiedenen Handschriften Geschäftsaufsätze. Wer all diese Handschriften fließend lesen konnte, galt als kluger Kopf. Dann hatte jeder Schüler Tafel und Griffel. Wandtafeln, Landkarte oder sonstige Unterrichtsmittel waren nicht vorhanden.

Der Unterricht begann morgens um 8 Uhr mit Gesang, es wurde ein ganzer Gesang gesungen, und Gebet: Luthers Morgensegen, die Glaubensartikel und das Vaterunser. Dann wurde aufgesagt aus dem Landeskatechismus und kl. Katechismus, was zu Hause auswendig gelernt war.

Jeder einzelne mußte sich neben den Lehrer, der im Lehnstuhl saß, stellen, und sein Pensum aufsagen, der Lehrer las im Buche nach. Dabei kam es auch vor, daß ein Schüler dem Lehrer über die Schulter weg alles vorlas. Unterdessen lernten diejenigen, die nicht an der Reihe waren, ihr Pensum noch wieder durch. Wenn sonst nichts besonderes vorgenommen werden sollte, wurden religiöse Stoffe auswendig gelernt. Jeder las laut, so daß ein großes Durcheinander im Zimmer war, einer suchte den anderen zu übertönen.

Zum Sonnabend mußten die Sonntagsepistel und das –evangelium auswendig gelernt werden, dazu noch ein Gesang aus dem Gesangbuche. Hatte derselbe nicht Strophen genug, so wurden 2 Gesänge aufgegeben. Viel wurde auch in der Bibel gelesen, so daß manche während der Schulzeit die ganze Bibel Wort für Wort durchgelesen hatten. Viele Kapitel wurden auch auswendig gelernt. Von Eindringen in das Verständnis war nicht die Rede. Der ganze Religionsunterricht bestand aus Ausweniglernen. An jedem Sonntag mußten die größeren Kinder zur Kirche und die „Predigt holen“, d. h. sie mußten am Montag den Inhalt der Predigt vortragen können, manchmal auch kurz den Inhalt aufgeschrieben haben. War der Lehrer auch in der Kirche gewesen, was fast stets der Fall war, und am Montag konnte einer über die Predigt nicht genau berichten, dann gab es Strafe.

Lesen lernten wir Kinder aus der Hahnenfibel durch Buchstabieren. War die Hahenfibel absolviert, dann wurden weitere Leseübungen angestellt im kleinen Katechismus und Gesangbuch, bis dann das Lesebuch an die Reihe kam. In den Deutschstunden wurde gelesen, ohne Betonung, von ausdrucksvollem Lesen keine Spur. Worterklärung und inhaltliches Erfassen war dem Schüler selbst überlassen. Rechtschreibeübungen und einen eigentlich grammatischen Unterricht gab es nicht. Die Rechtschreibung wurde durch anhaltendes Buchstabieren geübt. An Aufsätzen wurden Geschäftsaufsätze und Briefe nach Muster im Beumerschen Schriftleser angefertigt.

Besondere Sorgfalt wurde auf das Schönschreiben verwandt und manche Schüler haben es damals zu einer recht schönen Handschrift gebracht, die heute unsere Verwunderung wachruft. Geschrieben wurde meistens mit der Gänsefeder, da in Viehland und Waakhausen viele Gänse gehalten wurden. Halter und Stahlfeder waren selten und kosteten Geld. Der Lehrer gab Anleitung zum Gänsefederschneiden.

Der Rechenunterricht war Einzelunterricht, Abteilungen, in denen man dieselben Aufgaben rechnete, gab es nicht. Konnte jemand seine Aufgabe nicht lösen, so wurde sie ihm vom Lehrer mechanisch vorgemacht. Es dauerte manchmal lange, bis ein Schüler eine neue Rechenart begriffen hatte. Schwächere Schüler sind während ihrer Schulzeit zum Malnehmen und Teilen gar nicht gekommen. Fähige Schüler lösten schwierige Aufgaben nach den bürgerlichen Rechnungsarten. Manchmal war der Lehrer auch nicht imstand die Aufgaben zu lösen, dann wurde solange, manchmal wochenlang an der Aufgabe herumprobiert, bis es endlich jemandem gelang, die richtige Lösung zu finden. Es wurden auch ältere Personen zur Lösung solcher schwierigen Aufgaben herangezogen, ja sogar aus Nachbargemeinden wurde Hülfe geholt. War dann endlich die Lösung glücklich gefunden, dann gab dies Gesprächsstoff in den Gemeinden für lange Zeit und noch von späteren Geschlechtern wurde von solchem Ereignis erzählt und der glückliche Finder der Lösung gepriesen. Die richtigen Lösungen wurden im Antwortenheft gegeben.

Gebraucht wurde als Rechenbuch im Anfang die Rechenfibel von Flickenschild und danach die „Bremer Münze“. Ein besonderer Geschichts- Geografie- und Naturkundeunterricht wurde nicht erteilt, er beschränkte sich auf die Lesestücke, die im Lesebuche standen.

Zeichenunterricht fehlte auch.
Singen hatten wir in jedem Monat einen ganzen Nachmittag, Chorsingen und Einzelsingen. Durch Vor- und Nachsingen wurden die Melodien eingeübt. Fleißiger wurde gesungen in der Zeit vor Weihnachten um möglichst viele Weihnachtschoräle und –lieder einzuüben. In den letzten [Tagen] vor Weihnachten zog der Lehrer mit seinen Schülern von Haus zu Haus in der Schulgemeinde und trug mit ihnen in jedem Hause einige Weihnachtslieder und –choräle vor. (Herumsingen). Dafür erhielt der Lehrer ein Stück Weihnachtskuchen, auch wohl ein Geldstück, die Kinder bekamen Äpfel und Nüsse.

Zu Neujahr schrieben die Kinder unter Anleitung ihres Lehrers ihren Eltern, Großeltern, Onkeln, Tanten Neujahrswünsche auf Bogen, die bunt bemalt waren und in den Kaufläden zu kaufen waren. (Von Gustav Kühn in Neuruppin.) Die Neujahrswünsche wurden am Neujahrsmorgen den betreffenden Personen überbracht, vorgelesen und ausgehändigt, wofür es dann ein Trinkgeld gab, 6 Grote, 12 Grote, und wenn es sich jemand gut leisten konnte, auch wohl 24 Grote. (25,50 Pf. 1 M.) Ich hatte während meiner Schulzeit noch alle Großeltern und zwei Urgroßeltern, (in Moorhausen St. Jürgen am Überzug), denen ich Neujahrswünsche zu bringen hatte und brachte bei dieser Gelegenheit manchmal über 1 Thaler zusammen. Das war ein großer Schatz, der sorgsam gehütet wurde.

Das war für uns Kinder die einzige Einnahme, die wir das Jahr über hatten und [wir] bestritten davon die Ausgaben für Schulsachen. Die Eltern konnten uns dafür wenig geben, zumal, wenn die Familie kinderreich war, wie wir, 5 Jungens an der Zahl. Den Großeltern und Urgroßeltern wurde der Neujahrstag ein teures Fest, wenn sie eine zahlreiche Nachkommenschaft hatten, den jeder Enkel und Urenkel tat sein Bestes und jeder wollte den ersten Glückwunsch bringen, denn für die Letzten wurde die Belohnung schon knapper.

Die Lehrer an den einklassigen Schulen waren zum Unterrichten nicht vorgebildet, erhielten aber dafür auch nur kargen Lohn, so weiß ich, daß der alte Lehrer Hermann Wellbrock in Viehland jährlich 5 Thaler und Reihetisch bekam. Als Nebenbeschäftigung betrieb er Fischfang und ging [in] Tagelohn, flocht Körbe aus Weiden zum Aalfang und verkaufte diese. Von den Weiden mußten wir Kinder manchmal während der Schulzeit die Blätter abpflücken. Er war sehr sparsam und wegen allzu großer Sparsamkeit, die an Geiz grenzte, hatte er seine ihm angetraute Frau in Worpswede verlassen, mit der Begründung: sie sei ihm zu reibe (wendete im Haushalt zu viel an). Trotz seines geringen Einkommens hinterließ er ein Kapital von mehreren hundert Talern. Er starb 1872. Bald nach seinem Tode ist die Schule zu Viehland mit der in Waakhausen zusammen gelegt. Zu Ostern brachte jeder Schüler dem Lehrer ein halbes oder ganzes Dutzend Eier zum Geschenk.

Die Schulpflicht war manchen Familien ein Übel. Das geht auch daraus hervor, daß ein alter Mann mir sagte von seinem Sohne: Is good, dat de Jung ut’r School ist, denn kann he wat mit dohn! (arbeiten).

Übrigens waren die Schüler aus Viehland bekannt, daß sie [in] der Konfirmandenstunde am Besten Bescheid wußten und denen aus der Schule in Osterholz überlegen waren. Die Schulzucht war in Viehland ziemlich strenge. Der Lehrer saß im Lehnstuhl hinter seinem Tisch, die Zipfelmütze lag auf dem Tische. Zeigte sich bei den Schülern, während sie an der Arbeit waren, eine Unart, dann flog die Zipfelmütze den Übeltätern an den Kopf. Diese mußten alle die Mütze anfassen, und dem Lehrer hintragen, der ihnen dann zur Abkühlung ungebrannte Asche auf einen unnennbaren Körperteil legte. War der Schüler unverbesserlich, so bekam er seinen Platz auf der „Slüngelbank“.

Konnte jemand seine Lektion nicht aufsagen, dann wurde er in der Kammer des Lehrers eingesperrt. Diese hatte kein Fenster, und es soll vorgekommen sein, daß ein Fauler sich in das Bett des Lehrers legte und dort sanft schlafend seine Faulheit bereute. Kam jemand zu spät zum Unterricht, dann mußte er an der Tür stehen bleiben und aus der Bibel (ich weiß nicht mehr, welches Kapitel) vorlesen in dem die Stelle vorkam: „Wie lange liegst du Fauler, wann willst du aufstehen von deinem Schlaf!“

Als ich 8 ½ Jahre alt war, kam ich zu meinen Eltern zurück nach Nordwede und nach Worpedahl zu Herrn Lehrer Friedrich Schröder zur Schule. Der war gebürtig aus Überhamm. Er hatte 2 halbe Jahre das Seminar in Stade besucht. Sein Unterricht gestaltete sich daher wesendlich anders. Er war im Herbst 1870 nach Worpedahl gekommen. Vorher hatte Lehrer Friedrich Brünjes die Stelle inne gehabt. Von dessen Tätigkeit in der Schule wurden manche bösen Stücke erzählt. Er soll ein sehr fähiger Mann gewesen sein, aber leider ist er häufiger während der Schulzeit betrunken gewesen und darum abgesetzt worden. Ich kann mich noch erinnern, daß mich, ehe ich nach Viehland kam, Nachbars Kinder mit zur Schule genommen hatten. Mein gleichaltriger Vetter Jakob Monsees war auch da. Brünjes fragte uns: „Wie heet ji denn?“ Antwort von beiden: „Jakob!“ Darauf Brünjes: „Jakob heißt auf deutsch Windbeutet“, und ließ uns gehen.

Als ich im Herbst 1872 nach Worpedahl zur Schule kam, wurde diese von 72 Kindern besucht, jetzt sind kaum noch die Hälfte Schüler da. Ich könnte aus meiner Schulzeit in Worpedahl noch manches erzählen, will es aber vorläufig lassen, vielleicht komme ich noch später dazu.

Bei den geringen Einnahmen der Leute in hiesiger Gegend konnten sie für Kleidung wenig ausgeben. Sie war sehr einfach. Die Männer trugen bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts Kniehosen, Weste (Liefding) und kurze Jacke aus Stoffen, die von den Frauen selbst gesponnen und gewebt waren, auf dem Kopf eine Zipfelmütze, lange Strümpfe und Holzschuhe. Die selbstgewebten Stoffe waren entweder reinleinen (Hanfleinen) oder mit Wolleinschlag, die dann entweder ungefärbt oder blaugefärbt getragen wurden. Solche Kleidung aus selbstgewebten Stoffen habe ich während meiner Schulzeit ständig getragen.

Im Herbst gab es einen neuen Schulanzug. Dann wurde die alte geflickte Hose unter die neue genäht, und ersetzte so die Unterhose. Jacken wurden im Winter 2 übereinander gezogen. Nach 1872 hatte ich auch einen zweiten Anzug, den mein Onkel, der aus Amerika zum Besuch hier war, mir gekauft hatte. Dieser Anzug durfte nur bei ganz besonderen Gelegenheiten, etwa zur Kirche, oder Hochzeit, angezogen werden, wurde also sorgfältig geschont, so daß meine jüngeren Brüder diesen noch als Sonntagsanzug benutzten, als ich schon konfirmiert war, 1878.

Um das nötige Rohmaterial für die stelbstgewebten Stoffe zu haben, hatte jeder Hausbesitzer in seinem Garten oder auf dem Felde eine ziemliche Fläche mit Hanf bestellt, dazu hielt er sich 3 – 4 Schafe, die die nötige Wolle lieferten. Der Hanf wurde Anfang Mai gesät. Nach der Blütezeit, Mitte Juli, wurde der männliche Hanf aufgezogen. Dabei halfen sich die Frauen der Nachbarschaft und dabei gab es eine lebhafte Unterhaltung und eine gute Tasse Kaffee. Im September wurde der Hanf mit dem reifen Samen gezogen. Der erstere hatte seinen Bast und wurde gesponnen, nachdem er gebrochen und gehechelt war, der letztere hatte gröbere Fasern, daraus wurde Tauwerk gemacht.

Gebrochen wurde der Hanf im Oktober, bei Mondenschein. Der Hanf wurde im Backofen angewärmt und dann beim Backofen grob gebrochen und im Hause dann weiter gereinigt und dann gehechelt. Dann war er zum Spinnen fertig. Der Flachs wurde ebenso behandelt. Beim Hanf- und Flachsbrechen im Mondschein beim Backofen sind manche Streiche gemacht, hauptsächlich, wenn junge Mädchen damit beschäftigt waren. Da versteckte sich z. B. ein junger Mann im Backofen und wenn das Mädchen eine handvoll Hanf herausholen wollte, faste er sie an der Hand und diese erschrak und rannte ins Haus und wollte nicht zur Arbeit zurück.

Das Spinnen und Weben wurde von den Frauen und Mädchen im Winter fertig gemacht (Spinnstuben). Bis Ostern mußte diese Arbeit fertig sein, denn dann kam die Arbeit im Garten und auf dem Felde und das Torfmachen begann. Zur Kirche gingen die alten Leute noch in Kniehosen, Schnallenschuhen, Schoßrock, der bis über die Kniekehlen herabreichte, und einem Cylinderhut (Angströhre). Die jüngeren Männer kleideten sich neuzeitlicher. Zur Konfirmation trugen die Knaben auch einen langen Schoßrock und einen Cylinder. Dabei schaffte sich nicht jeder einen Rock und Hut an, zumal sie später wieder kurze Jacken und Mütze trugen, sondern Vaters Rock und Hut wurde genommen, oder diese Stücke wurden von Verwandten der Bekannten geliehen. So hat es mein Vater noch gehabt. War der Rock zu lang, dann wurden die Schöße und Ärmel umgenäht, der Hut fiel manchem über das Gesicht. Daß auf diese Weise wahre Mißgestalten zuwege kamen, läßt sich denken.

Wie ich konfirmiert wurde, hatte jeder seinen eigenen Anzug, jedoch auch noch Schoßrock, dazu weißer Kragen und Schlips und glatte Mütze. Die Frauen hatten auch Kleider aus selbstgewebten Stoffen, halb Wolle halb Hanfgarn. Zur Kirche oder auf Festen trugen sie Kleider aus Wolle oder Baumwolle, beim Kaufmann gekauft. Die Kleider reichten bis auf die Füße.

Bei der Arbeit waren die langen Kleider hinderlich, dann wurden die Röcke mit einer Schnur hochgebunden bis unters Knie. Dazu trugen sie bei der Arbeit enganschließende Jacken mit kurzen Ärmeln, die den Ellenbogen eben frei ließen. Um die Schultern war noch lose ein helles Baumwolltuch geschlagen, das vorne am Halse durch eine Kopfnadel zusammengehalten wurde. Als Kopfbedeckung hatten sie ständig eine helle selbstgefertigte Mütze, die das ganze Haar bedeckte und unter dem Kinn zugebunden wurde. Draußen bei der Arbeit kam darüber ein Schleierhut, ein Pappgestell und darüber ein helles Kattuntuch genäht. An Sonntagen und an Festen hatte die Mütze vorn eine Krause.

Zur Kirche wurde eine Haube mit einem breiten, weißen Strich aufgesetzt mit breiten langen Bändern auf dem Rücken niederhängend, ein enganschließendes Mieder mit blanken Knöpfen und bunten Schleifen, um den Hals einen schmalen weißen Kragen. Der Kleidrock hatte manchmal unten eine breite Sammetborde. Anstatt des Mantels wurde ein großes, schwarzes oder buntes Tuch um die Schultern gelegt, das am Halse durch eine Nadel, oder Brosche zusammen gehalten wurde. An den Ohrlappen hingen lange Ohrringe. Später richtete sich die Männer- und Frauentracht nach denen der Stadtleute.

Die Leute mußten hart arbeiten, wurden aber Fest gefeiert, so ging es dabei hoch her und wurden auch manchmal sehr ausgedehnt, so die Hochzeiten und Kindtaufen. Die jungen Leute gingen hin und wieder auf eine Tanzmusik, die nur höchstens alle 4 Wochen abgehalten werden durften. Die Tanzmusiken begannen in Worpswede am Sonntag gleich nach dem Gottesdienst, was aber bald verboten wurde. Wenn die Kirchleute aus der weitläufigen Gemeinde erst nach Hause gegangen waren, kamen sie so leicht nicht wieder, darum Beginn gleich nach dem Gottesdienst.

Der Schlußvers war in der Kirche kaum ausgeklungen, dann ertönten von der gegenüber liegenden Wirtschaft, damals Michaelis, schon die ersten Walzertöne. Wenn die jungen Leute den Kirchhof verlassen hatten, begann ein Wettlauf, jeder wollte den ersten Tanz mittanzen. Dieser Wettlauf um den ersten Tanz war manchmal schon die Ursache zu Streitigkeiten und Schlägereien. Es ist vorgekommen, daß es eine Viertelstunde nach Schluß des Gottesdienstes schon geschwollene Augen und blutige Köpfe gegeben hat. Diese Kämpfe wurden am allermeisten mit bloßen Fäusten, ohne gefährliche Instrumente ausgefochten. Dabei ging manchmal sogar der Humor nicht verloren. So hatte einmal jemand seinen Gegner am Boden liegen, kniete auf ihm und hielt ihn fest und deklamierte den Zuschauern einen Liedervers aus dem großen Landeskatechismus: „Gesunde Glieder, muntre Kräfte, wie viel sind die, oh Gott, nicht wert!“

Streitereien und Schlägereien waren auf den Tanzmusiken an der Tagesordnung, wenn es alles friedlich verlaufen war, dann war es kein rechtes Vergnügen gewesen. So wurde am Tage nachher von nicht Anwesenden gefragt: hebbt se sick ook schlan? Wurde die Frage verneint, dann hieß es: „Denn is et ook nich recht wat wäsen!“

So ging es auf den Hochzeiten, ja manchmal auch auf den Kindtaufen zu.

An geistigen Getränken gab es klaren Schnaps, a Glas 1 Groten und Braunbier. Lagerbier war sehr selten. Zigarren wurden fast garnicht geraucht, weil zu teuer, 2 Stück für 5 Pfennige, höchstens Pfeife, dafür hatte aber jeder einen Priehm hinter den Kusen. Außer den Tanzmusiken, die im Winter abgehalten wurden, im Sommer war dazu keine Zeit, gab es noch die Kaffeebälle. Dazu wurde durch Boten eingeladen. Jeder Teilnehmer erhielt zu Anfang Kaffee und Kuchen und am Schluß Abendbrot, hatte das Tanzen frei und zahlte dafür 24 Grote (1 Mark), später 1,25 M.

An den großen kirchlichen Festen war am 2. Feiertage Tanzmusik.

Später kamen dann die Sängerfeste, Schützenfest, Erntefest u.s.w. in Aufnahme, daran schließen sich weiter die jetzigen unzähligen Vereinsfestlichkeiten.

Zu den Hochzeiten wurde durch Boten eingeladen. Es wurden, je nachdem die Hochzeit groß oder klein gefeiert werden sollte 40 bis 300 Familien geladen. Die Hochzeiten wurden meistens um die Osterzeit, auch bis Pfingsten gefeiert, wenn die Landarbeit und das Torfmachen begonnen hatten, war zum Feiern nicht mehr Zeit. Genügte das eigene Haus nicht zur Aufnahme aller Gäste, dann wurden die Nachbarhäuser zu Hülfe genommen. Die Hochzeitsbitter hatten Blumen und bunte Bänder am Hut und Handstock. Die Blumen wurden von der Braut, die Bänder von den jungen Mädchen im Dorfe geschenkt. Der Hochzeitsbitter sagte seinen Spruch auf und damit war die ganze Familie geladen. Außerdem wurden noch die Nachbarn und nächsten Verwandten extra geladen zum Aufpassen und Anziehen. Damit waren sie verpflichtet zum Bedienen der Gäste und Essenauftragen und außer der Hochzeitsgabe von a Person 2 – 3 M den Brautleuten noch ein Geschenk an Haushaltsgegenständen zu machen.

Der Hochzeitsgeber hatte einen Berg Kuchen gebacken, ein Rind und 1 Schwein, (bei großen Hochzeiten mehr) geschlachtet, für genügend Brantwein und Braunbier gesorgt, die Musiker bestellt und nun konnte das Fest beginnen.

Die Nachbarn und die Hochzeitsbitter hatten am Tage vor der Hochzeit Stühle, Tische, Bretter, Hanfbrechen und große Kochtöpfe aus dem ganzen Dorfe, und wenn nötig, auch aus den Nachbardörfern zusammen geholt. Auf dem Hofe, an geschützter Stelle war eine Küche gebaut für all die Töpfe, es waren wohl 10 – 12. Zum Küchenbau wurden lange Stangen in die Erde gesteckt und daran Schlaglaken befestigt, damit der Wind nicht ins Feuer blasen konnte. Oben war die Küche offen, so konnte der Rauch frei abziehen, aber auch bei ungünstigem Wetter der Regen frei einfallen. Hier regierte die angenommene Kochfrau und daneben eine Aufwaschfrau.

Die geladenen Gäste stellten sich bald nach Mittag ein, und um 3 – 4 Uhr war die Trauung. Meistens kam der Geistliche zur Trauung ins Hochzeitshaus. Sollte die Trauung in der Kirche sein, so wurde das Brautpaar nebst ein paar Trauzeugen zur Kirche gefahren. Dann mußten die Pferde laufen, was sie hergeben konnten und daher ging die Fahrt nicht selten ohne Unfall ab. Der Wagen wurde auch wohl unterwegs angehalten, von den Anwohnern waren Taue über den Weg gespannt, und mußt der Bräutigam einen Schnaps ausgeben, der auf dem Wagen mitgenommen war. Flinten- und Pistolenschüsse begrüßten unterwegs das Brautpaar.

Zu Hause angekommen wurde dann das Hochzeitsessen aufgetragen. Bei gutem Wetter wurden die Tische im Freien auf dem Hofe gedeckt, bei Regenwetter auf der Viehdiele. Die Nachbarn und nächsten Verwandten trugen von der Küche her das Essen auf. Das Brautpaar hatte unter einem flotten Marsch am oberen Ende des Tisches Platz genommen, die nächsten Verwandten reihten sich an. Dabei kam es manchmal schon zu Streitigkeiten darüber, wer nach seinem Verwandtschaftsgrade zunächst bei den Brautleuten seinen Platz bekommen sollte. Das nannte man „Bisitten“. Dieser Streit wurde häufig nachher, wenn die Geister erst angeregt waren, mit den Fäusten ausgekämpft und entschieden.

Zum Essen gab es Suppe, Braten, Kochfleisch, Kartoffeln, Sauce, Mehlpudding mit Korinthen und gekochte Pflaumen. An Essgeschirr gab es für jeden einen Suppenteller und Löffel, Messer und Gabel mußte jeder Gast selbst mitbringen, später wurden letztere auch geliefert. Während des Essens spielte die Musikkapelle Konzertstücke, so gut sie konnte. Von den Gästen wurden während des Essens Gaben eingesammelt zuerst für die Armen der Gemeinde, dann für die Kochfrau, weiter für die Aufwaschfrau (Schöttelwaschupp) und zuletzt für die Musik. War es eine große Hochzeit, so kamen ansehnliche Summen (Kellengeld) zusammen, da doch jeder Gast wenigstens 5 Pfennig gab und Koch- und Aufwaschfrau, sowie die Musiker vom Hochzeitsgeber noch Lohn erhielten, ja die Musiker für das Aufspielen zum Tanz besonders bezahlt erhielten.

Waren die Gäste mit dem Essen fertig, so wurden die Tische abgedeckt und neue Teller und Löffel gebracht und nun kamen die Aufpasser, Musiker und verspäteten Gäste an die Reihe. Der Hochzeitsschaffner (bitter) rief dann über den Hof: „All, dee noch nich äten un säten hebbt, an den Disch!“

Während dessen gingen schon viele von der Hochzeitsgesellschaft ins Dorf, denn alle Einwohner des Dorfes luden ein zu Kaffee und Kuchen und man mußte bei jedem gewesen sein, sonst fühlte der Nachgelassene sich beleidigt. Da die Nachbarn und Dorfeingesessenen im Hochzeitshause zu tun hatten, so hatten diese wieder ihre Verwandten oder gute Bekannte zum Einhüten bestellt. Der Mann bot den Gästen einen Schnaps oder Kognak an, die Frau hatte für Kaffee und Kuchen zu sorgen. Man hatte wohl 12 – 18 Häuser zu besuchen, und wenn auch in jedem Hause nur eine Tasse Kaffee getrunken und ein Stück Kuchen gegessen wurde, so wurde das doch dem Magen reichlich und mancher klagte in den Tagen hernach über einen verdorbenen Magen.

Die Hochzeit dauerte bis zum andern Morgen, Nachzügler waren noch bis Mittag anzutreffen.

Die ganze Nacht wurde auf der Viehdiele getanzt. Die Musiker machten ein gutes Geschäft, jeder Tanz, höchstens 5 Min. lang, kostete 10 Pf. Fleißige Tänzer akkordierten mit den Musikern und mußten für die ganze Nacht zu tanzen 3 M bezahlen.

So war es in meinen Jugendjahren.

Vorher war es noch anders. Die Hochzeit meiner Eltern, die in Viehland gefeiert worden ist hat 2 Tage gedauert und da hat die Großmutter meiner Mutter gemeint, um eine solche kurze Hochzeit könne man ja garnicht sein bestes Zeug anziehen. Sie war gewohnt die Feier über 3 Tage auszudehnen. Auf meiner Elternhochzeit, die um Mittag begann, ist nach dem Hauptessen bis zum nächsten Morgen getanzt. Dann gingen die Gäste nach Haus und ruhten bis Mittag. Gleich nach Mittag ging’s wieder zum Hochzeitshause. Es wurden dann die Reste von der vortägigen Hauptmahlzeit wieder zum Essen aufgetragen und darnach bis zum folgenden lichten Morgen getanzt.

Solch eine Hochzeit war ein Fest für die ganze Umgegend, wurden doch zu großen Hochzeiten 200 – 300 Familien geladen. Wochenlang vorher und nachher wurde von solchen Feiern erzählt. Sie wurden darum auch meistens vor der Zeit der eiligen Arbeiten, oder nach denselben abgehalten.

 

Anlage
Mehlpudding
¼ Pfd. Butter rührt man mit 1 Pfd. Zucker schaumig, tut dann 5 Eigelb, eine Hand voll gehackte Mandeln, die abgeriebene Schale einer Zitrone, ein Paket Vanille-Puddingpulver hinzu, fügt dann 10 – 12 dicke, am Tage vorher gekochte Kartoffeln, gerieben hinzu, vermengt das Mehl (1 Pfund) mit einem Paket Backpulver, verrührt dann, indem man noch 1/8 Litr. Milch und den Schnee der 5 Eier hinzugetan, alles zu einem glatten Teig, und läßt den Pudding 2 Stunden im Wasserbade kochen.

 

Gevert Wellbrock
Brinkkötner
Schuhmacher
* 5.3.1838
+ 10.3.1917

 

Jacob Diedrich Wellbrock
Lehrer
* 25.2.1864
+ 30.1.1935

 

Georg Wellbrock
Lehrer in Lilienthal
* 24.9.1892 in Nordwede
+ 8.9.1979 in Lilienthal

 
Namen Nordweder Bauern 1895/96
 
Grimms Gasthaus in Norwede

 

 

 

 

 

 

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